Nach Neuseeland-Terror: Eine Spurensuche in Europa
Von Stefan Schocher
Geschockt, aber keinesfalls in Schockstarre – so lässt sich der Zustand Neuseelands nach dem Massenmord eines Neonazis in zwei Moscheen in der Stadt Christchurch beschreiben. Inmitten der Trauer um die Toten und der Bemühungen der Regierung, keine Spaltung der Gesellschaft zuzulassen, ließ Premierministerin Jacinda Ardern keinen Zweifel an einer ersten politischen Maßnahme als Reaktion auf den Anschlag: Die Waffengesetze werden verschärft. Denn – so hieß es aus Ermittlerkreisen – die Waffen, mit denen der Attentäter am Freitag 49 Menschen erschossen und mehr als 50 verletzt hatte‚ hatte er legal besessen.
Am Samstag wurde der aus Australien stammende Attentäter, den Medien als Brenton Tarrant identifizierten, dem Haftrichter vorgeführt. Der Verdächtige wurde wegen mehrfachen Mordes angeklagt. Weitere Anklagepunkte dürften folgen. Der nächste Gerichtstermin ist am fünften April.
Inzwischen werden immer mehr Details über den Attentäter bekannt. Anscheinend hatte dieser im Jahr 2017 eine ausgedehnte Europa-Reise von Portugal über Spanien nach Frankreich unternommen. Medien zufolge soll er sich dabei im rechtsextremen Umfeld bewegt haben. Zudem war ein Mann mit demselben Namen in Pakistan, Afghanistan, China und Nordkorea unterwegs.
Erst vergangenen November war Tarrant in Bulgarien, wo er mit einem Mietauto umherreiste. Danach flog er nach Bukarest, mietete erneut ein Auto, fuhr durch Rumänien und schließlich nach Ungarn. Auch die Türkei, Kroatien, Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina soll Tarrant bereist haben. Was er dort tat und wen er traf, wird ermittelt.
„Stripperinnen mieten“
In einem „Manifest“, das dem Attentäter zugeschrieben wird, heißt es, er habe seine Tat nach seiner Europa-Reise 2017 zu planen begonnen. Als Auslöser nannte er einen islamistischen Anschlag in Schweden, den Sieg Macrons bei den französischen Präsidentenwahlen sowie die „rassische Mischung“ in Frankreich. China bezeichnete er zugleich als perfekten Staat. So soll er gegenüber Bekannten mehrmals Chinas Monokulturalismus lobend betont haben.
Ältere Einträge in sozialen Medien zeichnen zudem das Bild eines ausgeprägten Narzissten. 2011 bezeichnete er sich etwa als „Monster der Willenskraft“. Über seine Arbeit als Fitnesstrainer schrieb er: „Ich dirigiere jeden Tag Fitness-Kurse mit mehr als 20 Leuten, die mich die ganze Zeit anschauen, mir Fragen stellen und 60 Minuten meine Bewegungen nachmachen. Und ich genieße es. Mein Selbstbewusstsein ist durch die Decke. Ich bin die stärkste Person der Stadt.“ Als Lieblingsbeschäftigung gab er Videospiele und „Stripperinnen mieten“ an.
Ausgegangen wird mittlerweile davon, dass Tarrant die unmittelbare Tat alleine ausgeführt hat. Die Rolle von zwei weiteren nach wie vor inhaftierten Personen ist nicht öffentlich bekannt. Eine Person, die im Zusammenhang mit der Tat festgenommen worden war, wurde freigelassen. Es hatte sich um einen Mann gehandelt, der an einem der Tatorte mit einer Waffe gesichtet worden war, aber nur helfen wollte. Die internationale Vernetzung des Täters allerdings lässt zumindest auf Mitwisser schließen.
Neuseelands Regierung versucht indes, Ruhe zu bewahren: „Wir sind unfassbar geschockt, aber wird werden uns erholen und wir werden siegen“, so Kerry Burke, ehemaliger Immigrationsminister zum KURIER.
Am Samstag waren 39 Opfer der Tat noch in Spitalsbehandlung. Ärzte beschrieben den Zustand von zweien als kritisch – darunter ein vierjähriges Kind.
Vor den Tatorten legten Bürger – Muslime, Christen, Maori – am Tag nach der Tat massenhaft Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Die Botschaft: Das ist nicht Neuseeland. Die Bestürzung in dem Inselstaat ist riesig.
Premierministerin Jacinda Ardern besuchte die Tatorte wie auch eine Flüchtlingsunterkunft in Christchurch, in der mehrheitlich muslimische Zuwanderer untergebracht sind. Der Imam einer der angegriffenen Moscheen gab indes ein klares Bekenntnis zu Neuseeland und gegen Gewalt in jeder Hinsicht ab: „Wir lieben dieses Land nach wie vor“, so Ibrahim Abdul Halim. Extremisten würden niemals „unser Vertrauen erschüttern“. Er hebt vor allem dankend die überwältigende Solidarität in Christchurch hervor, die die muslimische Community dort jetzt von allen Seiten erfahre.
Dass die Tat nach 36 Minuten beendet war, ist zwei Polizisten zu verdanken, die den Wagen des Täters stoppten. Darin wurden in Summe fünf Schusswaffen, haufenweise Munition und eine selbst gebaute Bombe gefunden. Ermittlern zufolge war der Täter auf dem Weg zu einem weiteren Ziel.