Politik/Ausland

Nawalny nach Umleitung seines Flugzeugs in Moskau festgenommen

Wohl wissend, dass er sofort nach der Landung in Moskau verhaftet werden könnte, trat der russische Kremlkritiker Alexej Nawalny Sonntagnachmittag seine Heimreise nach Russland an. Und er sollte Recht behalten, wie sich am Abend zeigte.

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Der Reihe nach: Die von Nawalny genutzte Fluglinie "Pobeda", zu Deutsch "Sieg", gab kurz vor der geplanten Landung bekannt, dass sie am Moskauer Flughafen Wnukowo, wo sich Hunderte Nawalny-Anhänger versammelt hatten, nicht landen dürfe. Später hieß es, das Flugzeug sei zum Flughafen Moskau-Scheremetjewo umgeleitet worden. Nawalny wurde dort an der Passkontrolle abgeführt, meldete sein Telegram-Kanal.

Laut der Nachrichtenagentur RIA Nowosti wurde Nawalny von Beamten der Justizvollzugsbehörde FSIN festgenommen - "wegen wiederholter Verstöße gegen seine Bewährungsauflagen" im Zusammenhang mit einem früheren, umstrittenen Strafverfahren. Seine Anwältin durfte ihn nicht begleiten.

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Viel Kritik

Das Außenministerium in Wien zeigte sich über die Festnahme Nawalnys tief besorgt. „Eine lebendige Zivilgesellschaft und politische Opposition sind Eckpfeiler aller demokratischen Gesellschaften. Österreich fordert seine sofortige Freilassung und eine umfassende und unabhängige Untersuchung des Angriffs auf sein Leben“, hieß es in einer Twitter-Meldung.

EU-Ratspräsident Charles Michel forderte die "sofortige Freilassung" Nawalnys. Die Festnahme unmittelbar nach seiner Ankunft in Moskau sei "inakzeptabel", betonte Michel auf Twitter.

Auch der künftige US-Sicherheitsberater Jake Sullivan forderte die sofortige Freilassung. Zudem müssten die Verantwortlichen für Nawalnys Vergiftung in Sibirien vor fünf Monaten zur Rechenschaft gezogen werden. "Die Angriffe des Kremls auf Herrn Nawalny sind nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern ein Affront gegen das russische Volk, das sich Gehör verschaffen will", schrieb Sullivan auf Twitter.

Weiterer Beleg

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangerte die Inhaftierung als unrechtmäßig an. Dies sei ein weiterer Beleg dafür, dass die russischen Behörden Nawalny zum Schweigen bringen wollten, hieß es am Sonntagabend in einer Amnesty-Erklärung.

Weiterhin sei es unumgänglich, den Vorwurf zu untersuchen, wonach er vor fünf Monaten in Sibirien von staatlichen Agenten auf Anordnung höchster Stellen vergiftet wurde. Zugleich forderte Amnesty, dass sämtliche am Sonntag auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo festgenommene Unterstützer und Journalisten unverzüglich freigelassen werden.

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Nawalny hatte sich in Deutschland von einer Vergiftung mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok im August in Sibirien erholt. Nach seiner Rettung durch Ärzte der Berliner Charité verbrachte der 44-Jährige fünf Monate zur Reha im Land. Vor seinem Abflug bedankte sich Nawalny bei allen Deutschen, die ihn bei seiner Genesung begleitet hatten und nannte sie „Freunde“.

"System Putin"

Dauerhaft im Exil zu bleiben war für ihn – im Gegensatz zu anderen Kremlkritikern – trotz wiederholter Verhaftungen in der Vergangenheit und vermutlich mehrerer Mordanschläge nie eine Option. Sein Platz sei in Russland, sagte Nawalny stets, wo er seinen Kampf gegen das „System Putin“ fortsetzen werde. Dem russischen Staatschef und dem Inlandsgeheimdienst FSB lastet Nawalny den international verurteilten Nowitschok-Angriff an – was diese allerdings von sich weisen.

Nawalny wurde bei seinem Heimflug von Ehefrau Julia und seinen Mitarbeitern begleitet. Auch Journalisten, Blogger und Aktivisten waren an Bord der Maschine einer russischen Billig-Airline namens „Pobeda“, zu Deutsch „Sieg“. Er habe ein Flugticket gekauft, weil er Nawalny bei seinem Kampf für die Freiheit in Russland unterstützen wolle, sagte einer der Aktivisten. Der Flug könne ein „historisches Ereignis“ werden.

Nawalny wurde in Berlin unter Polizeischutz zum Flugzeug gebracht und von Unterstützern gefeiert. „Udatschi!“, „Erfolg!“, stand auf deren Transparenten. Auf dem Flughafen Wnukowo in Moskau bezogen unterdessen Hundertschaften der Anti-Terror-Polizei Stellung. Vor dem Gebäude standen Gefangenentransporter, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete.

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Umstrittene Vorwürfe

Nawalny hatte seine Anhänger Mitte der Woche via Social Media aufgerufen, ihn auf dem Flughafen zu treffen. Mehr als 8.000 Menschen stellten in Aussicht, tatsächlich dort zu erscheinen.

Die Behörden warnten vor unerlaubten Kundgebungen, bereits vor Nawalnys Landung wurden mehrere seiner Anhänger auf dem Flughafen verhaftet. In St. Petersburg wurden drei Nawalny-Mitarbeiter nach eigenen Angaben aus einem Zug nach Moskau abgeführt und drei Stunden von der Polizei festgehalten. Andere Aktivisten sagten, sie seien auf dem Flughafen St. Petersburg festgehalten oder in Autos gestoppt worden. Journalisten wurde nach ARD-Informationen die Berichterstattung auf dem Flughafen Wnukowo verboten – mit Verweis auf die Corona-Pandemie.

Der Oppositionelle Ilja Jaschin sprach mit Blick auf Nawalnys Festnahme und die übrigen Verhaftungen von einer „hysterischen Reaktion“ des Machtapparats.

Die russische Justiz hat Nawalny wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen in einem umstrittenen Strafverfahren zur Fahndung ausgeschrieben. Beobachter halten das zugrunde liegende Urteil wegen Betrugs und Geldwäsche für politisch motiviert. Ende Dezember wurden neue Ermittlungen gegen Nawalny eingeleitet, er soll Spenden für private Zwecke verwendet haben. Nawalny bestreitet das. Angst habe er keine, so Nawalny gestern: „Was soll mir Schlimmes in Russland passieren?“