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US-Kongress: Netanyahu verspottet Demonstranten und sieht "Lügen" in Gaza

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat einen seltenen Auftritt vor beiden Kammern des US-Kongresses dazu genutzt, jegliche Kritik am militärischen Vorgehen seines Landes im Gazastreifen zurückzuweisen. Der unter Druck stehende Ministerpräsident ließ sich im Kapitol in Washington insbesondere von Republikanern feiern, teilte in alle Richtungen gegen Kritiker aus und nannte unter anderem die Vorwürfe des Internationalen Strafgerichtshofes gefährliche Lügen.

Laute Proteste gegen Netanyahu

Die Rede wurde begleitet von lauten Protesten rund um das Parlamentsgebäude in der US-Hauptstadt. Es ist Netanyahus erster Besuch in Washington seit fast vier Jahren und seine erste Auslandsreise seit dem Terrorüberfall der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober, der zum Krieg in Gaza führte. Der Auftritt vor dem US-Parlament war zugleich sein vierter dieser Art, was eher ungewöhnlich ist. Eine Rede vor beiden Kammern des amerikanischen Parlaments ist eine seltene Ehre für ausländische Staats- und Regierungschefs.

Netanyahu wurde mit viel Applaus empfangen, vor allem aus den Reihen der Republikaner. Etliche Demokraten boykottierten seine Rede. Eine von ihnen, die Abgeordnete Ilhan Omar, erklärte, es sei "unmoralisch und grausam" gegenüber den vielen Kriegsopfern, Netanyahu eine Bühne zu bieten. Sie bezeichnete ihn als "Kriegsverbrecher", der "Völkermord" an den Palästinensern begehe.

Entgegen den Hoffnungen von Angehörigen der 120 noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln verkündete Netanyahu keine Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln. Die für Donnerstag angekündigte Reise einer israelischen Delegation nach Katar zu indirekten Verhandlungen mit der islamistischen Hamas verschiebt sich außerdem weiter. Sie werde nun erste kommende Woche erwartet, bestätigte eine israelische Repräsentantin. Das genaue Datum sei noch unklar.

Hamas sei schuld

Netanyahu wies Vorwürfe zurück, Israel ziele im Gazakrieg absichtlich auf Zivilisten ab. Er warf vielmehr der Hamas vor, "alles in ihrer Macht Stehende getan, um palästinensische Zivilisten in Gefahr zu bringen". Er wies auch jede Verantwortung für die humanitäre Not der Menschen im Gazastreifen von sich, sondern gab der Hamas die Schuld daran: "Wenn es Palästinenser im Gazastreifen gibt, die nicht genug Nahrung bekommen, dann nicht, weil Israel sie blockiert. Es liegt daran, dass die Hamas sie stiehlt."

Netanyahu behauptete zudem, im Gazakrieg seien wenige Zivilisten getötet worden im Vergleich zu Kriegen in Wohngebieten in anderen Ländern. Besonders wenige zivile Opfer habe es in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifen gegeben. Dies widerspricht den Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, das allerdings nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheidet.

Wegen der hohen Zahl ziviler Opfer im Gazakrieg und der humanitären Not der Menschen in dem abgeriegelten Küstenstreifen stehen Netanyahu und seine Regierung international scharf in der Kritik. Der Chefankläger vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Karim Khan, hatte im Mai Haftbefehle gegen Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie drei Anführer der Hamas wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Das Gericht muss über diese Anträge erst entscheiden. Netanyahu wetterte, die Vorwürfe des Anklägers seien nichts als Lügen.

Der israelische Regierungschef bekräftigte, der Krieg werde mit einem Sieg über die Hamas enden. Seine Vision für den Tag danach sei "ein entmilitarisiertes, entradikalisiertes Gaza". Israel wolle den Gazastreifen nicht wiederbesiedeln, müsse dort aber auf absehbare Zeit die Sicherheitskontrolle bewahren. Er sprach von einer zivilen Verwaltung durch "Palästinenser, die Israel nicht zerstören wollen".

Für den Nahen Osten sprach Netanyahu von einem Sicherheitsbündnis von Israel und den USA gegen den Iran. "Alle Länder, die mit Israel in Frieden leben, und all jene Länder, die Frieden mit Israel schließen werden, sollten eingeladen werden, sich diesem Bündnis anzuschließen." Gegen Netanyahus Rede gab es größere Proteste in der US-Hauptstadt. Die Kapitol-Polizei teilte mit, ganz in der Nähe des Parlaments sei "ein Teil der Menge gewalttätig" geworden. Es gab Berichte über mehrere Festnahmen.

Spott für Demonstranten

Bei einer propalästinensischen Kundgebung forderten Rednerinnen und Redner die US-Regierung von Biden dazu auf, die militärische Hilfe für Israel komplett einzustellen. Sie warfen Israel einen "Genozid" im Gazastreifen vor und beschuldigten Biden, seine Stellvertreterin Kamala Harris und die Spitzen im US-Parlament, sich daran zu beteiligen. An einem anderen Ort kamen jüdische Demonstranten mit Israel-Flaggen zusammen. Ihr Protest richtete sich ebenfalls gegen Netanyahu. Ein Teilnehmer sagte, Netanyahu repräsentiere nicht das israelische Volk.

Die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Kapitol waren wegen des Besuchs drastisch erhöht worden. Das Gebäude wurde weiträumig mit hohen Zäunen abgesperrt.

Drinnen äußerte sich Netanyahu verächtlich über die Proteste. Die Demonstranten stünden auf der Seite des Bösen, "sie stehen auf der Seite der Hamas, sie stehen auf der Seite von Vergewaltigern und Mördern". Direkt an Demonstranten gerichtet sagte Netanyahu mit Blick auf die Verbindungen zwischen der Hamas und dem Iran: "Ihr seid offiziell zu nützlichen Idioten des Iran geworden." Viele Demonstranten hätten nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprächen.

Netanyahu ist für mehrere Tage in den USA und will dort auch Biden treffen - und dessen Amtsvorgänger Donald Trump, der bei der Präsidentschaftswahl im November erneut für die Republikaner antritt. Auch ein Treffen mit Bidens Stellvertreterin Harris, die voraussichtlich für die Demokraten bei der Wahl ins Rennen gehen wird, ist geplant. Netanyahu dankte Bidens Regierung für die Unterstützung in dem Krieg und bat zugleich um weitere, schnellere Waffenlieferungen. "Gebt uns die Mittel schneller - und wir werden die Arbeit schneller beenden."