Paris: 1,5 Millionen bei Gedenkmarsch
Von Danny Leder
Es ist nicht so, als wäre die Präsenz im Pariser Mega-Umzug am Sonntag von über 40 Staats- und Regierungschefs, darunter elf aus der EU und eine zumindest ebenso große Anzahl aus der muslimischen Welt, nicht wichtig gewesen.
Und auch die Tatsache, dass sich der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas und der israelische Premier Benyamin Netanjahu bei dieser Gelegenheit die Hand gaben, ist alles andere als bedeutungslos.
Aber all diese Prominenz musste sich angesichts der Masse der „Citoyens“ (wie in Frankreich die Staatsbürger seit der Revolution genannt werden) mit einer Nebenrolle bescheiden. Die Hauptrolle hatte eindeutig die Menge, die auf den zwei großen Demo-Routen mehr stand als ging, obwohl es sich um Boulevards handelte, die um etliches breiter als die Wiener Ringstraße sind.
Bilder des Gedenkmarsches in Paris
Der Andrang – 1,5 Millionen Teilnehmer wurden vorläufig von den Behörden geschätzt – war derartig, dass eine nicht abebbende Flut immerzu aus allen Stadtteilen herbeiströmte, um dann doch kilometerweit vor den Versammlungsorten stecken zu bleiben, weil bereits alle weiteren Straßen vor Demonstranten überquollen. Im von Tausenden Polizisten abgesicherten Paris kam es zum Verkehrschaos. Zehn Metro-Stationen waren von vornherein geschlossen worden. Zehntausende legten Kilometer um Kilometer zu Fuß zurück.
Demos überall im Land
Aber Paris war nicht alles: in Städten, Siedlungen, Dörfern in ganz Frankreich versammelten sich Schweigemärsche mit insgesamt 3,7 Millionen Teilnehmern. In mehreren Orten war mehr als die Hälfte der Einwohner unterwegs.
Auch in vielen anderen Ländern, u.a. in Österreich (12.000 Menschen bei Großkundgebung in Wien), zeigten sich die Menschen solidarisch.
Der am häufigsten und wohl nicht zufällig zitierte Vergleich mit vorhergehenden Massenmärschen betraf 2002, als Jean-Marie Le Pen, der Chef des rechten „Front National“ (der inzwischen von seiner Tochter Marine geleitet wird), in die Stichwahl für das Präsidentenamt gelangt war. 2002 demonstrierten rund 1,3 Millionen gegen Le Pen. Diesmal waren noch mehr Menschen unterwegs. Der Effekt blieb damals nicht aus: in der Stichwahl stagnierte Le Pen, seine Partei rutschte in eine mehrere Jahre andauernde Durststrecke. FN-Aktivisten gestanden, der Umfang der Aufmärsche habe sie demoralisiert.
Diese Erfahrung kann nicht mechanisch auf die jetzige Situation übertragen werden, schon allein weil es sich bei den Dschihadisten um einen äußeren Feind Frankreichs und seiner Demokratie handelt. Aber wie gerade die jüngsten Terrorakte zeigen, liegt die Stärke der Dschihadisten darin, dass sie Personen, die in Frankreich geboren sind, rekrutieren. Diese Leute mögen winzige Gruppen bilden und aus bizarren Persönlichkeiten bestehen, sie gedeihen doch in einem breiteren Umfeld radikalisierter junger Muslime.
Dämpfer für Radikale
Die Demo-Teilnahme von Jugendlichen aus muslimischen Familien war am Sonntag relativ gering. Aber die zahlenmäßig überwältigende Willensbezeugung der Franzosen für die Republik, die Freiheit und das respektvolle Zusammenleben aller Konfessionen ist ein erheblicher Dämpfer für die Dschihadisten und sonstige Gegner der europäischen Demokratien, die den „Verfall des Westens“ laufend diagnostizieren. So eine Machtdemonstration der Bevölkerung kann auch im potenziellen Umfeld der Dschihadisten für Zweifel sorgen. Frankreichs Justizministerin Christiane Taubira (sie stammt aus der Karibikinsel Guadeloupe und ist auch eine Wortführerin der schwarzen Bevölkerung) sagte: „Sie (gemeint waren die Dschihadisten, Anm.) werden nicht das letzte Wort haben“. Sie wird wohl recht behalten.
Als hätte es noch ein Signal für den Ernst der Lage bedurft: In der Nacht zum Sonntag warfen Unbekannte Brandsätze auf das Gebäude der Zeitung Hamburger Morgenpost. Eine offensichtliche Racheaktion gegen das Blatt, das nach dem Terroranschlag einige der provokantesten Karikaturen des Satire-Magazins Charlie Hebdo auf der Titelseite abgedruckt hatte.
Gemeinsam und mit noch mehr Überwachung gegen den Terror, das war das – wenn auch inoffizielle – Motto des Treffens mehrerer EU-Innenminister und ihrer Amtskollegen aus den USA und Kanada in Paris.
Mehr Flugkontrolle
Eine der meistdiskutierten Maßnahmen betrifft die stärkere Überwachung von Flugpassagieren. Nach dem Vorbild der USA, die ja von jedem Fluggast ein ausführliches Profil verlangen, wollen nun auch viele EU-Innenminister den europäischen Flugverkehr kontrollieren lassen. Ein solches Vorgehen war im Vorjahr vom EU-Parlament abgelehnt worden, weil man einen allzu massiven Eingriff in die Privatsphäre der Bürger befürchtete. Zahlreiche EU-Länder, darunter auch Deutschland und Österreich, haben inzwischen im Alleingang ihre Überwachung von Flugpassagieren verschärft. Österreich etwa kontrolliert alle aus den Ländern des Nahen Ostens einreisenden Fluggäste verstärkt, um so heimkehrende islamistische Kämpfer aus Syrien besser erfassen zu können.
Der deutsche Innenminister Thomas de Maziere forderte erneut, diese verstärkte Überwachung auf EU-Ebene einzuführen: „Wer jetzt ein europäisches Fluggastdaten-Abkommen ablehnt, weiß nicht, was die Stunde geschlagen hat.“ Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner betonte, wie wichtig eine verbesserte Kontrolle des Internet sei, „damit es nicht als Motor für Hass und Hetze missbraucht wird.“ Und sie meinte auch: „Die freie Welt lässt sich nicht von Mördern einschüchtern.“
Drastische Worte fand der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble gegenüber der Bild. „Man kann Polizei und Nachrichtendienste nicht länger zu den letzten Trotteln machen, vor denen wir immer nur Angst haben, dass sie unsere Rechte untergraben.“