"Monumentales" Datenleck schürt Todesangst unter nordirischen Polizisten
Von Anna-Maria Bauer
Die Gefahr, tödlich angegriffen zu werden, ist für Polizisten in Nordirland 25 Jahren nach dem Karfreitagsabkommen so hoch, dass jeder Beamte eine Schusswaffe mit sich trägt. In keinem anderen Land des Vereinigten Königreichs ist das der Fall. Viele Polizisten tun zudem ihr Möglichstes, ihre Identität zu verbergen. Manche verschweigen ihren Beruf vor ihrer Familie und ihren Freunden; sie sorgen sich, ob sie überhaupt die Uniform auf die Wäscheleine im Garten hängen können. Besorgte Eltern versuchen, ihre Kinder von dem Beruf abzuraten.
Deshalb ist die Datenpanne, die sich am Dienstag ereignet hat, so dramatisch. Knapp drei Stunden waren die Nachnamen und die Initialen jedes Mitarbeiters, der entsprechende Dienstgrad, der Dienstort und die Einheit, in der er oder sie arbeitet, öffentlich einsichtlich. Darunter fielen auch sensible Informationen von Geheimdienstmitarbeitern, Beamten der Überwachungseinheit und von fast 40 Mitarbeitern, die im MI5-Hauptquartier in Holywood tätig sind. Einzig die persönliche Wohnadresse wurde nicht genannt.
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Der stellvertretende Polizeipräsident Chris Todd entschuldigte sich vor den britischen Medien in Belfast bei den Beamten für den „inakzeptablen“ Verstoß. Die PSNI (Police Service of Northern Ireland) habe den Fehler „schnell“ behoben; es handle sich um einen „einfachen menschlichen Fehler“. Die Tabelle wurde offenbar als Antwort auf einen „Freedom of Information“-Request veröffentlicht. Nach diesem Gesetz der Informationsfreiheit haben britische Bürger seit 2000 das Recht, Informationen von öffentlichen Behörden anzufordern.
Zweites Leck
Am Mittwoch wurde dann noch ein zweites Datenleck publik: Am 6. Juli wurden in Newtownabbey, in der Nähe von Belfast, aus einem Privatfahrzeug ein Polizei-Laptop, Dokumente und eine Tabelle mit den Daten von mehr als 200 Mitarbeitern gestohlen.
Unmittelbare Sicherheitsbedenken, sagt die Polizei, gebe es keine, man beobachte die Situation.
Doch am Donnerstag ist eingetreten, was viele befürchteten: „Wir wissen jetzt, dass dissidente Republikaner behaupten, im Besitz einiger dieser Informationen zu sein, die auf WhatsApp kursieren“, sagte Polizeichef Simon Byrne auf einer Pressekonferenz.
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Es handelt sich dabei um Republikaner, die das Karfreitagsfriedensabkommen von 1998 nicht anerkennen und nach wie vor versuchen, gewaltsam ein vereintes Irland zu schaffen.
Ob die Gruppen die Daten der rund 10.000 Polizisten tatsächlich besitzen, ist noch unklar. Doch die Aussage reicht aus, um die Angst der Polizisten weiter zu schüren. Die terroristische Bedrohung in Nordirland wird seit März als „ernst“ eingestuft, nachdem John Caldwell außer Dienst vor den Augen seines Sohnes von vier maskierten Männern mehrmals angeschossen wurde.
„Die Bedrohung ist immer präsent und sehr real“, sagt Polizist Andrew George im Guardian. 2009 wurde Polizist Stephen Carroll ermordet, 2011 wurde Ronan Kerr durch eine Sprengfalle unter seinem Auto getötet. Insgesamt sind während den Unruhen zwischen Unionisten und Republikanern 302 Polizisten ermordete worden, 9.000 wurden verletzt.