Politik/Ausland

Mit Armee und Polizei: Macrons letzter Joker in der Gelbwesten-Krise

Frankreichs Staatsführung steht Samstag, eine Feuerprobe bevor, die hoffentlich nicht im wortwörtlichen Sinn erfolgen wird. Zum ersten Mal seit Beginn des Aufruhrs der „Gelbwesten“ vor vier Monaten wird die Armee zum Einsatz kommen.

Die Militärs sollen allerdings nicht direkt in Zusammenstöße mit gewalttätigen Demonstranten eingreifen, sondern nur zusätzlich Amtsgebäude bewachen. Dadurch würden mehr Polizisten zur Verfügung stehen, um die Aufmärsche der „Gelbwesen“ zu bändigen, beteuert die Regierung. Es würde es sich also bloß um eine Ausdehnung der bisherigen

Anti-Terror-Mission der Armee handeln. Im Rahmen der „Operation Sentinelle“ (Wache) gehören schon seit den islamistischen Anschlägen von 2015 Militärpatrouillen zum Alltag französischer Städte.

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Aber die Oppositionsparteien von links bis ganz rechts sowie Militärkreise sehen in dieser Entscheidung der Regierung ein fatales Zeichen der Schwäche und eine gefährliche Flucht ins Ungewisse: Aufgabe der Armee sei der Schutz gegen einen äußeren Feind. Die Soldaten, die mit Schnellfeuerwaffen patrouillieren, seien weder dafür ausgerüstet noch dafür ausgebildet, um in Friedenszeiten wütende Demonstranten in Schach zu halten, warnen inoffiziell Generäle.  

Polizei-Schutz für Militärs, die Gebäude schützen

Tatsächlich ist die Argumentation der Regierung zumindest unklar. Schon bisher kam es vor, dass brachiale und sehr mobile Trupps der „Gelbwesten“, im Zuge ihrer

Samstags-Demos, Regierungsgebäude überraschend attackierten. Der Oberbefehlshaber der Armee im Großraum Paris erklärte, dass bedrohte Soldaten „das Feuer eröffnen müssten“. Dazu würde es nicht kommen, versichern Regierungskreise und verweisen auf Polizei-Einheiten, die sich schützend vor die Soldaten stellen würden. Womit aber Polizei-Kräfte wiederum gebunden wären.  

Aber diese Ungereimtheiten, die Opposition und Medien jetzt gnadenlos gegenüber Präsident Emmanuel Macron ausschlachten, sind Ausdruck einer extrem „schwierigen Gleichung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“, wie das ausgewogene katholische Blatt „La Croix“, konstatiert. Seit Beginn der Gelbwesten-Krise werfen meistens die selben Oppositionspolitiker Macron sukzessive „zu autoritäre“ und „zu wenig harte“ Reaktionen vor.

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In Wirklichkeit hat die Regierung bis zuletzt versucht, die „Gelbwesten“, teilweise über die legalen Grenzen hinaus, gewähren zu lassen, und gleichzeitig die Gewalttaten zu begrenzen, die mit dieser losen und unstrukturierten Bewegung einhergehen. Dass es dabei auch zu schweren Verletzungen von Demonstranten, darunter auch von friedfertigen Personen, kam, ist Folge des Einsatzes von Gummigeschossen und hoch explosiven Tränengasgranaten durch die französische Polizei. Aber für die Polizei waren diese Ferngeschosse stellenweise die einzige Möglichkeit eine rabiate und mit Stich- und Hiebwaffen ausgerüstete Menge auf Distanz zu halten.     

Erhebliche soziale Zugeständnisse

Sozialpolitisch hat Macron, nach anfänglichen Zögern, den aufständischen „Gelbwesten“ erhebliche Zugeständnisse gemacht: Steuersenkungen, Rücknahme von Gebührenerhöhungen und die Einführung einer staatlichen Prämie – zusammengerechnet zwölf Milliarden Euro –  kamen einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen zugute.

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Der von Macron getragene landesweite „Grand Débat“, mit 10.000 Bürger-Versammlungen, bot eine einzigartige Gelegenheit für Meinungsaustausch und Mitsprache jenseits von Wahlen. Zwar haben daran verhältnismäßig wenig Niedrigverdiener und jüngere Menschen oder gar aktive „Gelbwesten“ teilgenommen. Aber Macron schuf dadurch selber eine große Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit, der er durch Neuerungen nun Rechnung tragen muss.  

All diese Bemühungen, die zu einer gewissen Beruhigung der Situation beigetragen hatten, wurden aber am vorigen Samstag durch die Verwüstungen, Plünderungen und Brandlegungen auf den Pariser Champs-Elysées teilweise wieder zunichte gemacht. Die Polizei überließ stundenlang und scheinbar hilflos die Prachtavenue ein paar Tausend Demonstranten, aus deren Mitte heraus ein paar Hundert ihr Zerstörungswerk vollbrachten.

Bilder von den Ausschreitungen der vergangenen Wochen

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Die vielen Gründe des Chaos

Das Versagen der Polizei nährte sich aus mehreren Faktoren: am selben Samstag musste sie  in Paris die zahlenmäßig viel bedeutenderen Stern-Märsche für die „Rettung des Klimas“, eine Anti-Rassismus-Demo und eine Blockade-Aktion durch 400 LKWs von Kirtags-Schaustellern sichern.

Die Einsatzkräfte der Polizei blieben daher auf die gesamte Stadt verstreut. Dabei bestand die Hauptsorge der Behörden darin, dass gewalttätige Gruppen aus der „Gelbwesten“-Demo die übrigen Aufmärsche heimsuchen könnten. Tatsächlich vereinigten sich dann ein Teil der „Gelbwesten“ mit den Klimaschützern und den Anti-Rassisten zu einem gemeinsamen Marsch, aber eben in einer durchwegs friedlichen Atmosphäre. 

 Aber während dessen fehlten Sicherheits-Kräfte auf den Champs-Elysées, wo die Schlacht mit den gewalttätigen Teilen der „Gelbewesten“ und ultralinken Gruppen tobte. Wegen der Gefahr allzu vieler Verletzter und der diesbezüglichen Kritik war der Polizei am letzten Samstag auch verboten worden, mit Gummigeschossen gegen die Demonstranten vorzugehen.  

Ski-Urlaub und Disko-Besuch

Dazu kamen Image-schädigende Bilder: die Unruhen überraschten Macron auf Ski-Urlaub in den Pyrenäen. Am Samstag zuvor, nur wenige Stunden nach Ende der „Gelbwesten“-Märsche, war Innenminister Christophe Castaner in einer Disko mit einer Geliebten bei heißer Umarmung gefilmt worden.  

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Jetzt erbrachte eine Umfrage, dass 70 Prozent der Franzosen Macron nicht zutrauen, er könne die „öffentliche Ordnung wieder herstellen“. Damit könnte Macron sein letzter Joker entgleiten. Auf Seiten der 48 Prozent der Bevölkerung, die über finanzielle Schwierigkeiten noch vor Monatsende klagen, und die mehrheitlich die Gelbwesten unterstützen, hat er keinerlei Aussicht auf Gehör. Das wenige Oberwasser, das er vor dem verheerenden letzten Samstag gewonnen hatte, verdankt er dem Umstand, dass er bei der übrigen Bevölkerung, die sich vor dem Gelbwesten-Chaos fürchtet, als Ordnungsbewahrer punkten konnte.

Nach dem Fiasko vom vergangenen Samstag auf den Champs-Elyséss hofft Macron seinen diesbezüglichen Imageverlust durch mehr Härte wieder wettzumachen: Polizei und Gendarmerie wurden angewiesen, Ansammlungen sofort aufzulösen, sollte die Anwesenheit „gewaltbereiter Elemente“ festgestellt werden. Die Greiftrupps der Polizei haben freie Hand, um „auf Nah-Kontakt“ zu gehen, der Einsatz der Gummi-Geschosse wurde wieder vollauf genehmigt.