Politik/Ausland

Terror in Moskau: Russland soll Verdächtige foltern, Selenskyj gegen "Bastard" Putin

Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte dauerten Spekulationen über die Hintergründe der Tat weiter an.

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) hatte den Anschlag bereits in der Nacht auf Samstag für sich reklamiert, doch der russische Präsident Wladimir Putin deutete eine ukrainische Spur hinter dem Angriff an - ohne jedoch Beweise dafür anzuführen. Demnach sollen die Täter in Richtung Ukraine geflüchtet sein.

Kiew wies jede Beteiligung an der Tat mit 137 Toten vom Freitagabend zurück. Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten bereits Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Putin tat die Warnungen jedoch als westliche Provokation ab.

Alle Inhalte anzeigen

Nationaler Trauertag

Unterdessen beging Russland am Sonntag einen nationalen Trauertag. Viele Trauernde legten am Sonntag am Ort des Geschehens, der Crocus City Hall am nordwestlichen Stadtrand, Blumen oder Spielzeug nieder. Die Menschenschlange zu dem improvisierten Gedenkort am Zaun des Veranstaltungszentrums erstrecke sich über mehrere Hundert Meter, meldete die Nachrichtenagentur Tass mittags.

Der Sonntag war in Russland zum nationalen Trauertag ausgerufen worden. Auf den größten Leuchtreklametafeln der russischen Hauptstadt war eine brennende Kerze vor dunklem Hintergrund zu sehen. Außerdem standen dort das Datum des Anschlags, der 22. März, und der Schriftzug "Wir trauern".

Beobachter sprachen von einer gedrückten Stimmung in der Millionenstadt, der Terror sei überall Thema. Große Museen, Theater und Kinos waren geschlossen, Großveranstaltungen abgesagt. Szenen der Trauer gab es auch in Russlands nördlicher Metropole St. Petersburg und in anderen Städten. Im Ausland schlossen sich Serbien und Nicaragua mit eigenen Trauertagen dem Gedenken an.

Verhör in Russland

Viele der bei dem Anschlag 152 Verletzten seien weiter in kritischer Verfassung, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TASS Sonntag früh unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium für die Region Moskau. Unter den Verletzten sind demnach auch fünf Kinder.

In dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau mit Tausenden Plätzen hatten am Freitag Täter wahllos auf Besucher geschossen. Zudem gab es Explosionen in dem Gebäude und einen Großbrand.

Alle Inhalte anzeigen

Die vier Hauptverdächtigen des Terroranschlags waren am Samstagabend zum Verhör in die russische Hauptstadt gebracht worden. Wie die Staatsagentur TASS weiter berichtete, waren die vier Männer in einer streng abgesicherten Wagenkolonne aus der Region Brjansk im Süden des Landes, wo sie festgenommen worden waren, zum sogenannten Ermittlungsausschuss gefahren worden. In den kommenden Tagen solle vor Gericht ein Antrag auf Haftbefehl gestellt werden.

Alle Inhalte anzeigen

Tausende spendeten Blut

Videoaufnahmen sollen zeigen, dass es bei der Festnahme der Verdächtigen auch zu Folter gekommen soll. So zeigt ein in Russland verbreitetes Video etwa, wie einem Mann ein Ohr abgeschnitten wurde. Unabhängig waren die Aufnahmen zunächst nicht zu überprüfen.

Forensiker setzten unterdessen die Identifizierung der Opfer fort. Bis Samstagabend seien bereits 50 Opfer identifiziert worden, teilte Gouverneur Andrej Worobjow mit. Viele Menschen in der Konzerthalle seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, hieß es. Knapp 4.000 Menschen spendeten bis zum Abend Blut, um die ärztliche Behandlung der Verletzten zu erleichtern.

Alle Inhalte anzeigen

In der Nacht räumten schwere Maschinen Schutt von dem Gelände der Crocus City Hall. Es war befürchtet worden, dass weitere Opfer noch unter den Trümmern der schwer beschädigten Konzerthalle in Krasnogorsk nordwestlich von Moskau gefunden werden könnten. Dies war jedoch zunächst nicht der Fall. Die Aufräum- und Bergungsarbeiten sollten nach Behördenangaben mindestens bis Sonntagabend andauern.

Putins Anschuldigung sei eine "absolut falsche und absurde Aussage"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies unterdessen die Versuche Putins, mit unbelegten Schuldzuweisungen der Ukraine eine Mitverantwortung für den Anschlag zuzuschieben, in der Nacht kategorisch zurück. "Nach dem, was gestern in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. 

Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe "dieser absolute Niemand Putin" einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine russischen Bürger zu kümmern. Vielmehr habe Putin darüber nachgedacht, "wie er das in die Ukraine bringen kann".

Alle Inhalte anzeigen

Putin hatte in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag gesprochen. Mit Blick auf die festgenommenen Männer sagte er: "Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war." Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte Putin und wies darauf hin, dass die Grenze seit Langem vermint sei.

Alle Inhalte anzeigen

IS bekannte sich

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte am Samstag ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen "schweren Schlag" versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe "Tausenden Christen in einer Musikhalle" gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Alle Inhalte anzeigen

Der IS war bekanntgeworden, als er in weiten Teilen des Irak und Syriens ein Kalifat ausgerufen hatte. Er hat auch in anderen Ländern, darunter auch in Europa, zahlreiche Anschläge für sich reklamiert. Russland hatte sich 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingeschaltet, um Präsident Bashar al-Assad gegen die Opposition und den IS zu unterstützen.

Beim ISPK handelt es sich um einen Ableger des IS in Afghanistan und anderen Staaten Zentralasiens. Kurz vor Weihnachten wurde in Österreich ein Tadschike und seine Ehefrau festgenommen, weil sie in Anschlagspläne gegen den Stephansdom eingebunden gewesen sein sollen. Ein in Deutschland lebender Landsmann, der die beiden mehrmals besucht hatte, steht im Verdacht, ähnliche Pläne mit dem Kölner Dom als Ziel gehabt zu haben.