Macron zieht die Notbremse - vergeblich?
Von Danny Leder
Eine Kehrtwende am Rande des Abgrunds – diesen Eindruck erweckte Premier Edouard Philippe, der am Dienstag, nach drei Wochen des zunehmend brachialeren Aufstands der „ Gelbwesten“, ein vorläufiges Einlenken im Bereich der umstrittenen Steuer- und Tarifpolitik verkündete.
Gebührenerhöhungen auf Sprit, die die Regierung bisher als ökologisch notwendige Maßnahmen verfochten hatte, sind für sechs Monate außer Kraft gesetzt: darunter die Einführung der sogenannten „Carbon“-Abgabe auf Treibstoff, die für Jänner 2019 vorgesehen war, und die weitere Angleichung mittels Gebühren des Preises für Diesel an Superbenzin. Derselbe sechs monatige Aufschub gilt für eine relativ kostspielige technische Prüfung der Fahrzeuge.
Die hohen Gebühren auf Sprit waren der Auslöser der „Gelbwesten“-Bewegung gewesen, vor allem unter einkommensschwachen Pendlern aus den Speckgürteln und in der Provinz, wo kaum öffentliche Verkehrsalternativen zur Verfügung stehen.
Eine für Jänner 2019 vorgesehene Erhöhung der Strom- und Gastarife wurde ebenfalls für die kommenden sechs Monate, also die wegen der Heizungskosten heikle Winterperiode, annulliert.
Während dieser Schonphase würden breit angelegte Beratungen mit allen Betroffenen stattfinden, versprach Philippe. Bei diesem „echten Dialog“ würde alles zur Diskussion stehen, also auch die gesamte Steuerpolitik. Frankreich habe „die höchsten Steuern und Abgaben Europas“, das Steuersystem „sei schrecklich kompliziert“, gestand der Premier.
„Schwere Ungerechtigkeit“
Philippe zollte den „Gelbwesten“ auch neuerlich Respekt: „Sie lieben unser Land. Ihr Zorn kommt von weit her. Er ist der Zorn des Frankreichs, das hart arbeitet. Es ist eine schwere Ungerechtigkeit, dass diese Franzosen trotzdem für die Bedürfnisse ihrer Familien nicht aufkommen können“.
Jetzt komme es darauf an, bei der „ökologischen Umwandlung Frankreichs“ die Bevölkerung „besser zu begleiten“. Dabei sei man für alle Vorschläge offen, namentlich für spezielle Lösungen für die Menschen außerhalb der Städte.
Wenn man die die Abgaben senken wolle, müsse man allerdings auch über das „richtige Niveau der öffentlichen Dienste“ beratschlagen, mahnte der Premierminister. Damit versuchte Philippe die „Gelbwesten“ doch noch auf die Problematik ihrer derzeitigen Forderungsflut zu verweisen: nämlich die Ablehnung aller Gebührenerhöhungen beim gleichzeitigem Ruf nach Erhöhung öffentlicher Ausgaben und Sozial-Hilfen vor dem Hintergrund der hohen französischen Staatsverschuldung.
„Zu spät, zu wenig“
An den auch am Dienstag wieder zahlreichen Straßensperren der „Gelbwesten“ waren die Reaktionen unterschiedlich: nur wenig konstatierten einen „guten Anfang“ für eine Lösung des Konflikts. Die lautesten Blockierer verwarfen aber diese Zugeständnisse: diese kämen „zu spät“, der sechs monatige Aufschub der Gebührenerhöhungen sei „bloß eine Verzögerungstaktik“. Viele bestanden auf den zusätzlichen, politscheren Forderungen, die stellenweise von „Gelbwesten“ erhoben werden: Wiedereinführung der kürzlich abgeschafften Großvermögenssteuer, Einführung einer entscheidungsberechtigten „Bürgerversammlung“ als eine Art Parallel-Parlament, Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron.
Damit ist allerdings auch wieder deutlich geworden, dass die „Gelbwesten“, eine sehr lose, nur lokal funktionierende und ziemlich autoritätsfeindliche Bewegung sind und als solche zumindest bisher keine gemeinsame Antwort auf die Regierungsvorschläge zustande brachten. Das war auch ihre Stärke, zumal sie sehr unterschiedlich gepolte Leute vereinte und für die Staatsführung nicht fassbar war. Der Regierungschef musste daher jetzt seine Zugeständnisse präsentieren, ohne vorher überhaupt verhandelt zu haben, weil keine Delegation der „Gelbwesten“ seinen Einladungen nachgekommen war.
Schwarzer Peter bei „Gelbwesten“
Andererseits wirkt der Umstand, dass die „Gelbwesten“ sich auf keine gemeinsamen Sprecher einigen können auch wiederum abschreckend. Zumal bekannt wurde, dass diejenigen ihrer Aktivisten, die einen Vertretungsanspruch erhoben und zu Gesprächen mit der Regierung bereit waren, bisher noch jedes Mal von anderen, radikaleren oder eifersüchtigen „Gelbwesten“ beschimpft und sogar bedroht wurden.
Die Staatsführung hofft daher, dass sie mit ihrem jetzigen Vorstoß den „Gelbwesten“ den schwarzen Peter zugespielt hat. Aber das ist keinesfalls sicher. Hält die Revolte an, und alles deutet daraufhin, könnte Macron noch mehr in die Klemme geraten.
Ruf nach der Armee
Die an der Bewegung nicht-beteilige Bevölkerung ist einerseits über die Unordnung zunehmend erbittert. Die Bilder von den Brandstiftungen und den zurückweichenden, oft machtlosen Polizisten während der Ausschreitungen vom letzten Samstag in Paris sind zurzeit das Thema aller spontanen Gespräche an den Pariser Bistro-Theken. Tenor: „Die Armee muss eingreifen“, die Polizei hat sich das „nicht gefallen zu lassen“, die Regierung ist „zu schwach“.
Auch die anhaltenden Blockaden nerven zusehends. Stellenweise gibt es Versorgungsengpässe bei Treibstoff, Tankstellen mussten den Benzinverkauf rationieren. In Supermärkten, die schon länger nicht beliefert werden konnten, sind immer mehr Regale leer, außerdem bleiben die Kunden aus, den Angestellten droht Kurzarbeit.
Dazu kommen weitere Unruhe-Herde, die ein Gefühl des Chaos verbreiten. Bauern, ein in Frankreich traditionell gewaltbereiter Stand, wollen gegen die „Steuer-Flut“ marschieren. Hunderte Gymnasien wurden von Schülern blockiert, nachdem eine linke Schülerorganisation gegen die Reform der Matura mobilisiert, über die eigentlich noch nichts Genaues bekannt ist.
Trotzdem lieferten Schüler an einigen Orten der anrückenden Polizei Straßenschlachten, in Bordeaux und Toulouse kam es zu Brandstiftungen, die Feuerwehr wurde stellenweise an ihren Löscharbeiten gehindert.
Weg offen für autoritäre Kraft?
Aber andererseits sind viele derjenigen, die über diese Phänomene jammern, auch nicht bereit die „Gelbwesten“ zu verurteilen. Je nach politischer Neigung, teilen die Franzosen irgendeines der vielfältigen und teilweise gegensätzlichen Anliegen der „Gelbwesten“: etwa ihre Anti-Steuer-Haltung oder umgekehrt ihre Forderung nach stärkerer Besteuerung der Reichen.
So wird im Endeffekt der Staatsführung um Macron alles gleichzeitig vorgeworfen: sie habe durch ihren Wirtschaftskurs und ihre „Arroganz“ den Aufstand provoziert, sie würde aber nicht „hart genug“ gegen Aufrührer durchgreifen. Dieses Klima könnte über kurz oder lang einer konservativ-autoritären Kraft den Weg ebnen.