Lust und Paranoia: Was Stalin zum Massenmörder machte
Von Konrad Kramar
Es war eine Tätigkeit, die in oft den ganzen Tag beanspruchte. Liste um Liste musste durchgesehen und unterschrieben werden: Listen, voll mit allen den Namen, die ihr Leben verlieren sollten. Der Diktator ließ es sich nicht nehmen, sich um den Massenmord, der seine Herrschaft über Jahrzehnte bestimmen sollte, persönlich zu kümmern. Einen „lustvollen Gewalttäter“ nennt ihn der deutsche Historiker Jörg Baberowski, der sich auf die Geschichte des stalinistischen Terrors spezialisiert hat: „Wir müssen uns Stalin als einen glücklichen Menschen vorstellen, der sich an den Seelenqualen seiner Opfer erfreute.“
Der Terror und die Vernichtung politischer Gegner war schon in den ersten Jahren nach der russischen Oktoberrevolution von Lenin, zum Grundprinzip der Bolschewiken gemacht worden. Die Geheimpolizei Tscheka, Vorläufer des KGB, war Instrument des Terrors, das im rechtsfreien Raum agierte.
Stalin aber baute dieses Instrument zu einer gigantischen Vernichtungsmaschinerie aus. Die Säuberungen nannte man die flächendeckende Vernichtung nicht nur von politischen Gegnern, sondern auch von ethnischen Minderheiten wie Deutschen, oder Juden, oder unliebsamen Teilen der Bevölkerung wie etwa den Bauern, die der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft im Wege standen.
Dieser Krieg gegen die Bauern, der ab Beginn der 1930er-Jahre stattfand, war nicht nur geprägt von Enteignungen, Vertreibungen und Massenerschießungen, er löst auch eine Hungersnot aus, die rund 3,5 Millionen Menschen das Leben kostete. Vor allem in der Ukraine, wo dieser „Holodomor“ bis heute ein nationales Trauma ist.
Der große Terror
In den Jahren danach sollten sich die politischen Säuberungen zum Großen Terror auswachsen. Verschwörungstheorien, denen Stalin immer mehr verfallen war, machten aus dem Großteil der kommunistischen Führungskräfte, aber auch aus kleinen Funktionären Feinde, die vernichtet werden mussten.
Und das wurden sie, mit groß angelegten Polizeioperationen. die auch im letzten Winkel des Sowjetreiches mit grenzenloser Brutalität und Mordlust durchgeführt wurden. Es gab Massenerschießungen in Dörfern, bei denen auch Kinder nicht verschont wurden.
Die vermeintlichen Köpfe dieser Konterrevolution wurden in öffentlichen Schauprozessen zum Tode verurteilt. Die massenhafte Ermordung einfacher Sowjetbürger überließ Stalin dumpfen Gewaltmenschen wie Lawrenti Berija, die ihm willenlos ergeben waren.
Die Kontrolle über all seine Verbrechen, die nach Schätzungen bis zu 60 Millionen Menschen das Leben kosteten, gab Stalin nie aus der Hand. Handschriftlich fügte er auf seinen Todeslisten noch dazu, wer besonders qualvoll umkommen sollte. All das ist in den russischen Archiven bis ins Detail dokumentiert. Denn schlechtes Gewissen hatte Stalin bis zu seinem Tod nicht.