Der dritte Kriegstag im Überblick: Moskau kündigt weiteren Vormarsch an
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine droht eine Ausweitung der Kampfhandlungen vor allem in Kiew. Der Kreml behauptete, die Ukraine habe am Samstag Friedensverhandlungen mit Russland abgelehnt. Daher werde der „Vormarsch der wichtigsten russischen Streitkräfte“ wieder aufgenommen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Die ukrainische Führung dementierte. „Ihre Kommentare, dass wir Verhandlungen abgesagt hätten, sind lediglich Teil ihrer Taktik“, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podolak einer Mitteilung zufolge.
Kontrolle über Ex-Flugplatz
Russische Truppen haben bei ihrem Angriff auf die Ukraine einen strategisch wichtigen früheren Flugplatz im Süden des Landes eingenommen. Wie die Gebietsverwaltung der Großstadt Berdjansk am Samstag mitteilte, befindet sich schweres russisches Militärgerät auf dem Airport. Die Stadt ist Medienberichten zufolge von russischen Truppen eingeschlossen, die von dort weiter auf Mariupol vorrücken und die Stadt in die Zange nehmen könnten.
Mariupol liegt in der Nähe der ostukrainischen Separatistengebiete und ist der letzte wichtige Hafen unter Regierungskontrolle am Asowschen Meer. Die Behörden verhängten eine Ausgangssperre.
Auch Melitopol in russischer Kontrolle
Russland hat nach eigenen Angaben außerdem die Stadt Melitopol im Süden der Ukraine eingenommen. Die russische Armee habe "die vollständige Kontrolle" über die unweit der annektierten Halbinsel Krim gelegenen Stadt übernommen, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Samstag im russischen Fernsehen. In der Hauptstadt Kiew hat die ukrainische Regierung die Lage nach eigenen Angaben unter Kontrolle.
Moskau habe in der Nacht auch ukrainische Militäreinrichtungen mit Marschflugkörpern unter Beschuss genommen, sagte Konaschenkow. Dem Sprecher zufolge wurden die ukrainischen Militäreinrichtungen "mit luft- und seegestützten Marschflugkörpern" angegriffen. Es handle sich dabei um "Präzisionswaffen großer Reichweite".
Nach Angaben Konaschenkows haben die russischen Streitkräfte inzwischen mehr als 820 Militäreinrichtungen in der Ukraine zerstört, darunter 14 Flugplätze, 19 Kommandoposten, 48 Radarstationen und 24 Flugabwehr-Raketensysteme. Das russische Militär habe zudem sieben Kampfjets, sieben Hubschrauber und neun Drohnen abgeschossen sowie 87 Panzer und Panzerfahrzeuge zerstört. Zu den russischen Verlusten äußerte sich Konaschenkow nicht.
Russland hatte am Donnerstagmorgen mit einem Großangriff auf die Ukraine begonnen. Inzwischen geht es vor allem um die Kontrolle der Hauptstadt Kiew, doch auch in vielen anderen Landesteilen wurde gekämpft. Zehntausende Ukrainer flohen angesichts der Gewalt in die Nachbarstaaten.
Bei den Angriffen der russischen Armee sind laut den ukrainischen Behörden bisher 198 Zivilisten getötet worden. Unter den Todesopfern seien drei Kinder, erklärte Gesundheitsminister Viktor Ljaschko am Samstag auf Facebook. Zudem seien 1.115 Menschen verletzt worden, darunter 33 Kinder. Diese Angaben lassen sich von unabhängiger Seite kaum überprüfen. Russland will laut Ex-Präsident Dmitri Medwedew trotz westlicher Sanktionen den Einmarsch in die Ukraine nicht abbrechen.
Das UNO-Menschenrechtsbüro hatte am Freitag von Berichten über 25 getötete und 102 verletzte Zivilisten gesprochen. Die überwiegende Mehrheit der Fälle sei aus Gebieten gemeldet worden, die von der ukrainischen Regierung kontrolliert werden, sagte eine Sprecherin.
Medwedew, Vizevorsitzender des russischen Sicherheitsrats, erklärte am Samstag im Sozialen Netzwerk Vkontakte: „Die Militäroperation zum Schutz des Donbass wird vollständig und bis zum Erreichen aller Ergebnisse durchgeführt. Nicht mehr und nicht weniger.“ Daran änderten auch die Strafmaßnahmen des Westens nichts. Medwedew bezeichnete die Sanktionen des Westens als „politische Ohnmacht, die sich aus der Unfähigkeit ergibt, den Kurs Russlands zu ändern“. „Jetzt werden wir von überall vertrieben, bestraft, verängstigt, aber wir haben wieder keine Angst“, sagte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin. Russland werde „spiegelbildlich“ antworten. Überhaupt brauche sein Land keine diplomatischen Beziehungen zum Westen. Es sei an der Zeit, „Botschaften mit Schlössern zu verschließen“.
An Tag drei der russischen Ukraine-Invasion haben sich beide Seiten Gefechte um die Hauptstadt Kiew und andere Städte geliefert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief seine Landsleute in Videobotschaften am Samstag zur Abwehr russischer Angriffe auf. Ihm zufolge „sind mehr als 100.000 Eindringlinge in unserem Land.
Nach UNO-Angaben sind Hunderttausende in der Ukraine auf der Flucht. Allein in Polen sind nach Regierungsangaben bisher 100.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland angekommen.
Selenskij betont Durchhaltewillen: "Ich bin hier"
Man habe die Lage in Kiew unter Kontrolle, die russischen Angreifer versuchten aber, möglichst große Zahlen von Militärtechnik und Streitkräften in die Hauptstadt zu bringen, sagte Mychajlo Podolak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, am Samstag der Agentur UNIAN zufolge. In Kiew leben rund 2,8 Millionen Menschen. Zuvor war bei schweren Angriffen russischer Truppen ein Kiewer Hochhaus von einem Geschoß getroffen worden. Selenskyj betonte seinen Durchhaltewillen. "Wir werden die Waffen nicht niederlegen, wir werden unseren Staat verteidigen", sagte er in einer neuen Videobotschaft, in der er offenbar vor seinem Amtssitz in Kiew stand. Er selbst werde in Kiew bleiben.
Zudem wünsche er "allen einen guten Morgen." Er wolle kursierende Falschnachrichten widerlegen, wonach er das Land verlassen habe. "Ich bin hier." Das Land müsse verteidigt werden. "Ruhm der Ukraine!" Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zuvor die ukrainische Armee aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Das zeichnete sich nicht ab.
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Bilder zeigten deutlich sichtbar einen Einschlag in oberen Stockwerken des in Kiew getroffenen Hochhauses. Mindestens vier Etagen auf einer Seite des Hauses wurden dabei zerstört. Es stieg Rauch auf. Unklar war zunächst, was genau vorgefallen war und ob es Opfer gab.
Die Behörden warnten unterdessen vor Straßenkämpfen in der ukrainischen Hauptstadt. "Auf den Straßen unserer Stadt laufen jetzt Kampfhandlungen. Wir bitten darum, Ruhe zu bewahren und maximal vorsichtig zu sein!", hieß es in der Mitteilung am Samstag. Wer in einem Bunker sei, solle dortbleiben. Im Fall von Luftalarm sollten die Menschen den nächsten Bunker aufsuchen. Die Stadt veröffentlichte eine Karte dazu. "Wenn Sie zuhause sind, dann gehen sie nicht ans Fenster, gehen sie nicht auf die Balkone." Die Menschen sollten sich etwa auch abdecken, um sich vor Verletzungen zu schützen. In Kiew gilt eine Sperrstunde von 22.00 Uhr (21.00 MEZ) bis 07.00 Uhr (6.00 Uhr MEZ) in der Früh.
Einem Medienbericht zufolge haben russische Truppen das Kiewer Wasserkraftwerk im Norden der ukrainischen Hauptstadt-Region eingenommen. Die Nachrichtenagentur Interfax meldete dies unter Berufung auf das ukrainische Energieministerium.
Ukraine: 3.500 getötete russische Soldaten
Eigenen Angaben zufolge haben die ukrainischen Streitkräfte den russischen Truppen seit Beginn der Invasion schwere Verluste zugefügt. 3.500 russische Soldaten seien getötet und 200 weitere gefangen genommen worden, teilte das ukrainische Militär am Samstag mit. Zudem seien 14 Flugzeuge, acht Hubschrauber und 102 Panzer sowie mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden. Unabhängig überprüft können die Angaben aber nicht werden.
In verschiedenen Teilen des Landes werde schwer gekämpft, hieß es in der Mitteilung weiter. In Sumy im Nordosten, Mariupol im Süden und Poltawa im Osten hätten russische Kampfjets Angriffe geflogen. In der Hauptstadt Kiew seien auch zivile Ziele ins Visier genommen worden.
Konaschenkow sagte auch, dass Separatistenkämpfer aus der ostukrainischen Region Luhansk mittlerweile etwa 30 Kilometer in bisher von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliertes Gebiet weit vorgerückt seien. Donezker Kämpfer hätten mit russischer Unterstützung weitere Geländegewinne über sechs Kilometer erzielen können. Am Freitagabend hatte es geheißen, die Aufständischen seien dort 25 Kilometer weiter in ukrainisches kontrolliertes Gebiet vorgedrungen.
Klitschko: "Bleibt in den Schutzkellern"
Auch der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, betonte, die Hauptstadt sei weiter in der Hand der Regierung. "Die Nacht war schwer, doch es gibt keine russischen Truppen in der Stadt", sagte Klitschko in einem am Samstag verbreiteten Clip auf der Nachrichten-App Telegram. Er betonte zugleich: "Der Feind versucht, in die Stadt vorzudringen."