Tote bei Raketenangriff auf ukrainisches Einkaufszentrum
Tag 124 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij will nach Angaben von zwei europäischen Diplomaten den Krieg in seinem Land vor Beginn des nächsten Winters beendet haben.
Selenskij habe dies den G7-Staats- und Regierungschefs per Videoschaltung auf Schloss Elmau gesagt. Der ukrainische Präsident spricht heute zu den G7-Staaten. Diese wiederum einigten sich in Bayern schon auf neue Sanktionen gegen Moskau.
Tote bei Raketenangriff auf Einkaufszentrum
In der zentralukrainischen Stadt Krementschuk ist ein Einkaufszentrum nach ukrainischen Angaben von einer russischen Rakete getroffen worden. Mehr als tausend Menschen hätten sich zu dem Zeitpunkt in dem Gebäude befunden, erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag im Online-Dienst Telegram. Es könnte viele Tote und Verletzte geben. Bis dato wurden mindestens zwei Tote und 20 Verletzte bestätigt, so der stellvertretenden Leiter des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenk.
In einem Video, das Selenskyj verbreitete, war das brennende Gebäude mit dicken dunklen Rauchwolken zu sehen. Nach Angaben des Zivilschutzes sind 115 Feuerwehrleute mit 20 Löschwagen im Einsatz. Zudem sei ein Löschzug der Eisenbahn angefordert worden.
"Der Raketenangriff auf das Einkaufszentrum mit Menschen in Krementschuk ist ein weiteres Kriegsverbrechen der Russen", schrieb der Gouverneur des Gebiets Poltawa, Dmytro Lunin. Die Zahl der Opfer war zunächst unbekannt. In unmittelbarer Nähe des Einkaufszentrums befindet sich eine Fabrik für Straßenbaumaschinen.
Angriffe bei Lyssytschansk abgewehrt
Das ukrainische Militär hat westlich von Lyssytschansk russische Angriffe zurückgeschlagen und damit eine Einkesselung der strategisch wichtigen Großstadt im Osten der Ukraine verhindert. "Nahe Werchnjokamjanka haben die Verteidigungskräfte dem Feind erhebliche Verluste zugefügt und ihn zum Rückzug gezwungen", teilte der ukrainische Generalstab am Montag in seinem Lagebericht mit. Russland attackierte indes erneut das Gebiet Odessa mit Raketen.
Werchnjokamjanka liegt nur wenige Kilometer westlich von Lyssytschansk an der letzten wichtigen Versorgungsstraße für die Stadt. Lyssytschansk selbst war nach ukrainischen Angaben erneut Ziel schwerer Luft- und Artillerieangriffe. Russische Einheiten stehen im Süden bereits am Stadtrand. Mehrere Vororte sind ebenfalls unter Feuer geraten. In der Stadt sollen noch mehrere tausend ukrainische Soldaten stationiert sein.
Die ukrainischen Behörden forderten Zivilisten dringend zum Verlassen von Lyssytschansk, der letzten größeren ukrainischen Bastion in der Region Luhansk, auf. "Die Situation in der Stadt ist sehr schwierig", schreibt der Gouverneur der ostukrainischen Region Luhansk, Serhij Hajdaj, auf Telegram. Es gebe eine reale Bedrohung für Leib und Leben, schrieb Hajdaj. Wie viele Zivilisten noch in Lyssytschansk sind, blieb unklar.
Vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar lebten dort rund 100.000 Menschen. "Die Situation in der Stadt ist sehr schwierig", erklärte Hajdaj. Russische Angriffe richteten katastrophale Schäden an. Russische Truppen konzentrieren ihre Angriffe auf Lyssytschansk, nachdem sie am Wochenende die strategisch wichtige und nur von einem Fluss getrennte Nachbarstadt Sjewjerodonezk erobert hatten. Der Generalstab der ukrainischen Armee erklärte, die russischen Kräfte setzten Artillerie ein, um Lyssytschansk vom Süden der Ukraine abzuschneiden.
Weiter Kampfschauplätze
Gekämpft wird auch etwas weiter westlich im Raum Bachmut. Die Stadt ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Nach ukrainischen Angaben konnten hier ebenfalls Angriffe russischer Einheiten auf einen Vorort zurückgeschlagen werden. Beim russischen Vormarsch auf den Ballungsraum Slowjansk-Kramatorsk gibt es trotz heftiger Artilleriegefechte wenig Bewegung.
Aus dem Süden des Landes, im Gebiet Cherson, meldet der Generalstab ebenfalls russische Artillerieangriffe. Zugleich habe die Luftwaffe dort „erfolgreiche Schläge“ gegen feindliche Truppenansammlungen geflogen. Unabhängig lassen sich diese Angaben nicht überprüfen.
Raketen auf Odessa
Bei einem Raketeneinschlag im Gebiet Odessa im Süden der Ukraine kamen indes sechs Menschen zu Schaden. Die Rakete sei von einem russischen strategischen Bomber des Typs Tu-22 abgefeuert worden, teilte das ukrainische Wehrkommando Süd am Montag mit. Unter den Opfern ist den Behördenangaben nach auch ein Kind. Aus den Angaben geht nicht hervor, ob die betroffenen Personen verletzt oder getötet wurden.
Am Wochenende hatte die Ukraine eine deutliche Ausweitung russischer Raketenangriffe auf das Land gemeldet. Getroffen wurden eine Reihe von Regionen auch weit im Hinterland der Front - vom westukrainischen Gebiet Lwiw über Chmelnytzkyj, Schytomyr bis hin nach Tschernihiw und Kiew. Im Süden des Landes hat es unter anderem Mykolajiw und Odessa getroffen.
Selenskij fordert schnellere Waffenlieferungen
Heute wird der ukrainische Präsident per Videoschaltung zu den Regierungschefs der G7-Staaten sprechen.
In der Nacht forderte er abermals schnellere Waffenlieferungen an sein Land: Allein am Samstag seien 62 russische Raketen in seinem Land eingeschlagen, sagte er in seiner täglichen Videoansprache.
Jede Verzögerung von Waffenlieferungen an die Ukraine sei eine Einladung an Russland, weiter zuzuschlagen, meinte Selenskij. Die G7-Länder, zu denen Deutschland, die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan zählen, verfügten gemeinsam über so viel Potenzial, "um die russische Aggression gegen die Ukraine und Europa zu stoppen" sagte Selenskij.
Selenskij rief die Menschen im Nachbarland Belarus dazu auf, sich nicht in den russischen Angriffskrieg hineinziehen zu lassen. „Der Kreml hat bereits alles für Euch entschieden“, sagte er am Sonntag mit Blick auf Moskau. „Aber Ihr seid keine Sklaven und Kanonenfutter. Ihr dürft nicht sterben.“
Am Samstag hatte sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko abermals mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen. Dabei kündigte der Kremlchef die Lieferung von Raketensystemen vom Typ Iskander-M nach Belarus an, die auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.
Informieren Sie sich über die Lage in der Ukraine, geplante Sanktionen und Reaktionen in unserem Live-Ticker:
Ukrainischer Verteidigungsminister fordert Raketenabwehrsysteme
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow forderte konkret moderne Raketenabwehrsysteme mit hoher Reichweite vom Westen. Diese müssten schnell stationiert werden, um so auch die Sicherheit für europäische Städte zu gewährleisten, schrieb er bei Facebook.
Er bezeichnete Raketenangriffe auf "friedliche ukrainische Städte" als heimtückisch, weil sie entweder vom russischen Territorium aus oder von Belarus oder vom Kaspischen und Schwarzen Meer aus abgefeuert würden. Resnikow schlug zudem eine Entmilitarisierung von Teilen Russlands vor als Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen.
Von der Leyen gegen Boykott des G20-Gipfels mit Putin
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich beim G7-Gipfel in Deutschland gegen einen Boykott des G20-Gipfels im Herbst ausgesprochen - auch wenn Russlands Präsident Wladimir Putin am nächsten Treffen teilnehmen sollte. "Wir müssen sehr genau überlegen, ob wir die gesamte G20 lahmlegen, da plädiere ich nicht dafür", sagte von der Leyen am Sonntagabend dem ZDF-heute journal.
Von der Leyen zeigte sich auch überzeugt, dass Putin "diesen Krieg schon nicht mehr gewinnen" kann.