Politik/Ausland

Koalitionsbildung in Krisenzeiten: Schwere Last für die Neuen

„Wir haben eine Lage, die alles übertreffen wird, was wir bisher hatten“ – mit diesen Worten hat sich Angela Merkel zur Corona-Lage zurückgemeldet. Ja, die Kanzlerin hat ihren Schreibtisch noch nicht geräumt, auch wenn sie bei manchen diesen Eindruck erweckt hatte. Sie ist weiter geschäftsführend im Amt, während SPD, Grüne und FDP an einer Regierung feilen. Am Mittwoch tagt die Hauptrunde der Verhandler, die Gespräche sollen in dieser Woche abgeschlossen werden. Danach wollen die Grünen ihre Mitglieder befragen, SPD und FDP halten einen Parteitag ab. Ziel wäre es, Olaf Scholz um den 6. Dezember herum zum Kanzler zu wählen.

Also mitten in der vierten Corona-Welle. Die Infektionszahlen sind höher als je zuvor. Das Robert Koch-Institut meldete am Dienstag 45.326 neue Fälle, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei knapp 400. Hinter den Neuinfektionen würden sich „mindestens doppelt oder drei Mal so viele“ verbergen, sagte kürzlich Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Institutes – weil zuletzt viel weniger getestet wurde.

Skepsis bei Impfpflicht

Schon im Sommer sprach er davon, dass es eine Impfquote von zirka 85 Prozent brauche. Nun liegt sie bei 67,33 Prozent – und die Debatte nach einer Impfpflicht wird lauter. Für den RKI-Chef ist sie das letzte Mittel: „Es gibt wirklich niemanden, der gerne eine Impfpflicht haben möchte. (...) aber wenn man alles andere versucht hat, dann sagt die WHO: Dann muss man auch über eine Impfpflicht nachdenken.“

Die Regierung der Kanzlerin hat sich bisher aber dagegen ausgesprochen. Sie wird auch nicht mehr darüber entscheiden, ließ Regierungssprecher Steffen Seibert wissen. Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte Bedenken, etwa bei der Durchsetzung. Indessen sprechen sich mehrere Länderchefs (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen) dafür aus und hatten den Bund gebeten, in Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen eine Impfpflicht einzuführen.

Über die Frage wie und ob sie die Impfpflicht generell einführen will, ist die mögliche neue Regierung noch uneins. In der FDP hält man sie für „verfassungswidrig“, Teile der Grünen sind bei bestimmten Berufsgruppen dafür. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, der wieder Teil des nächsten Kabinetts sein könnte, will die rechtliche Grundlage vor Weihnachten klären lassen, sagte er in der ARD-Talkshow von Anne Will. Sein Parteifreund und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach glaubt, dass man sich ihr annähern müsse. Die aktuelle Lage werde sich damit kaum beruhigen lassen.

Ähnlich sieht es die scheidende Kanzlerin. Impfen helfe jetzt nicht, die Entwicklung zu stoppen, sondern nur langfristig, soll sie in einer CDU-Vorstandssitzung gesagt haben.

Attacke auf die Ampel

Dort sprach sie sich für härtere Maßnahmen aus. „Wir haben eine hoch dramatische Situation, was jetzt gilt, ist nicht ausreichend“, wird sie zitiert. Eine Botschaft, die an ihren künftigen Nachfolger Olaf Scholz gerichtet ist.

Die Ampel-Partner haben im Bundestag ein neues Infektionsschutzgesetz durchgebracht, das die Union als zu lasch kritisierte, aber im Bundesrat mittrug: Künftig gilt eine 3-G-Regelung am Arbeitsplatz und in öffentlichen Verkehrsmitteln. In Alten- und Pflegeheimen besteht die Pflicht zum Testen, in Unternehmen jene zum Homeoffice – wenn es betrieblich möglich ist. Bundesweit verordnete Maßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen oder Ausgangssperren soll es nicht mehr geben.

Die Bundesländer können noch bis Mitte Dezember eigene Regelungen setzen – wie das stark betroffene Sachsen, das einen Teil-Lockdown angeordnet hat. Danach soll bundesweit eine 2-G-Regel eingeführt werden. Ob es dabei bleibt, werden die nächsten Wochen zeigen. Das Wort wird dann künftig ein Anderer haben.