Johnsons geheime Pläne für rasche Neuwahl
Die britischen Unterhausabgeordneten können es kaum erwarten, sich endlich wieder auf ihre grünen Lederbänke zu drängen. Als das britische Parlament das letzte Mal tagte, war die Welt noch eine andere und Theresa May an der Macht.
In der Vorwoche kündigte ihr Nachfolger Boris Johnson an, das Parlament nach einer Sitzungswoche per königlicher Verfügung für fünf Wochen stillzulegen. Das hat den Plan des mehrheitlich gegen den „No Deal“-Brexit eingestellten Parlaments noch dringlicher gemacht: Die Regierung per Gesetz zu zwingen, bei der EU um einen weiteren Aufschub des Brexit jenseits des 31. Oktober anzusuchen.
Mit allen Wassern des Verfassungsrechts gewaschene Strategen beider Großparteien hielten ihre Pläne allerdings bis zum letzten Moment streng geheim. Das Team des Premiers sollte in der Planung seines Gegenzugs so lange wie möglich in Ungewissheit gehalten werden.
Fest steht, dass es einen ebenso breiten wie wackeligen Konsens hinter einem möglichst simplen Gesetzestext zu vereinen gilt: Die Liberaldemokraten, die schottischen und walisischen Nationalisten, eine mittlerweile wieder zersplitterte Gruppe von Rebellen der beiden Großparteien verfolgen immer noch das Ziel, den Brexit zu verhindern – mittels eines zweiten Referendums oder einer Annullierung des Austrittsprozesses. Die Position der Labour Party ist dagegen kryptisch wie eh und je, lavierend zwischen Verbleib in der EU und einem sanften Brexit.
Tory-Rebellen entscheidend
Entscheidend ist aber die Kooperation der Tory-Rebellen, darunter wichtige Ex-Kabinettmitglieder wie Theresa Mays Schatzkanzler Philip Hammond und ihr Justizminister David Gauke, die für den Brexit, aber gegen ein No-Deal-Szenario einstehen. Vor allem an diese wandte sich Johnson am Montagabend mit einem dramatischen Appell: Eine Unterstützung der Opposition würde Londons Brexit-Verhandlungsposition gegenüber Brüssel unterminieren. Und: „Ich werde unter keinen Umständen einen Aufschub des Austrittsdatums akzeptieren.“ Da Johnsons Parlamentsmehrheit über den Sommer auf nur einen einzigen Sitz geschrumpft ist, hat die äußerst fragile Koalition jedoch gute Chancen, sich in einer Abstimmung durchzusetzen. Ob sie es schafft, ihr Anti-No-Deal-Gesetz in den drei Tagen vor der erzwungenen Sitzungspause durch beide Häuser zu treiben, ist aber fraglich.
„Stoppt den Putsch“
Am Samstag demonstrierten in ganz Großbritannien Tausende spontan gegen die erzwungene Vertagung des Unterhauses. Geschätzte Hunderttausend füllten die Straßen des Londoner Regierungsviertels mit Chören wie „Niemand hat Boris gewählt“ und „Stoppt den Putsch!“.
Das Vorgehen der Regierung ist bereits Thema zweier Gerichtsverfahren: Eines in Schottland mit Unterstützung schottischer Abgeordneter und eines am Londoner High Court. All das könnte freilich bald hinfällig werden, denn Boris Johnson ließ am Sonntag wissen, er werde alle an der Anti-No-Deal-Aktion beteiligten Konservativen umgehend aus der Tory-Parlamentsfraktion ausschließen.
Das sollte ihn freilich die Mehrheit im Unterhaus kosten. Johnson würde somit ein Misstrauensvotum und schnelle Neuwahlen knapp vor oder nach dem EU-Austrittsdatum herausfordern. Gestern meinte Johnson freilich vor der TV-Kamera: „Ich will keine Neuwahlen, ihr wollt keine neuen Wahlen. Lasst uns gemeinsam den Brexit durchziehen.“
Aus London Robert Rotifer