Japaner saß 45 Jahre in der Todeszelle - jetzt Freispruch?
An einem frühen Junimorgen vor 58 Jahren zerstörte ein Feuer das Haus einer Familie in Zentraljapan. Als sich die letzten Rauchwolken verzogen hatten, fand die Polizei in den Ruinen vier Leichen - ein Ehepaar und zwei Kinder im Teenageralter, alle vier waren erstochen worden.
Kurz danach wurde ein Angestellter des ermordeten Managers verhaftet, Iwao Hakamada. Der Profiboxer wurde zwei Jahre später des Mordes und der Brandstiftung schuldig gesprochen. Seine Strafe: Tod durch Erhängen.
Alle Jahre hindurch beharrte Hakamada darauf, dass er unschuldig sei und nur wegen der heftigen Prügel in Polizeigewahrsam zunächst zu einem Schuldgeständnis gezwungen worden sei. 45 Jahre saß er daraufhin in der Todeszelle - kein lebender Mensch auf der Welt hat länger darauf gewartet, im Strafvollzug exekutiert zu werden. Bereits 2011 war Hakamada als der am längsten in einer Todeszelle Einsitzende ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen worden.
Ein wichtiges Beweisstück für Hakamadas Verurteilung waren damals blutverschmierte Kleidungsstücke, die allerdings erst mehr als ein Jahr nach der Tat aufgetaucht waren. DNA-Tests ergaben keine Verbindung zwischen dem ehemaligen Boxer, den Kleidern und dem Blut. Doch das Gericht lehnte damals die Testmethoden ab. 1980 bestätigte Japans Höchstgericht das Todesurteil.
Freilassung
Vor nunmehr zehn Jahren kam dann die Wende: Ein Gericht zog die bisherigen Beweismittel gegen den verurteilten Mörder in Zweifel und ordnete die Freilassung des mittlerweile alten Mannes an.
Im Vorjahr dann die erneute Wende: Ein höheres Gericht startete die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den mittlerweile sicher prominentesten mutmaßlichen Straftäter Japans.
Fast sechs Jahrzehnte nach der Tat fordern Staatsanwälte in Japan noch immer die Hinrichtung des inzwischen 88-jährigen Mannes. Weil er psychisch und physisch nicht mehr in der Lage ist, dem Verfahren beizuwohnen, schaukelt sich der Prozess zunehmend zu einem Schaukampf hoch: Zu einem Kampf für und wider die Todesstrafe in Japan. Das endgültige Urteil soll im September gesprochen werden.
Die meiste Zeit seines Abwartens auf die Exekution hat der Hakamada in Einzelhaft verbracht. Jeder einzelne Tag davon, hatte der der Japaner vor einigen Jahren einem Reporter gesagt, sei für ihn ein Kampf gewesen.
107 Häftlinge sitzen in Japan derzeit in Todeszellen. Japan gehört zu den wenigen Industrienationen, die noch die Todesstrafe vollstrecken. Innerhalb der OECD sind das neben Japan nur noch die USA und Südkorea - Seoul hat sie jedoch ausgesetzt.
Im Vorjahr gab es in Japan keine Hinrichtung. Die bislang Letzte wurde im Juli 2022 an Tomohiro Kato vollzogen. Kato wurde für schuldig befunden, bei einem Amoklauf im Tokyoter Stadtteil Akihabara im Jahr 2008 sieben Menschen ermordet zu haben.
Erfahren erst am selben Morgen von Hinrichtung
Japans Bevölkerung befürwortet mit großer Mehrheit die Beibehaltung der Todesstrafe, nur neun Prozent fordern ihre Abschaffung. Für die Regierung in Tokio ist deshalb eine Änderung des Kurses vorerst kein Thema.
Hinrichtungen finden in Japan im Geheimen statt. Todeszelleninsassen erfahren von ihrer Hinrichtung erst am Morgen desselben Tages. Amnesty International kritisiert deswegen heftig, "dass die Gefangenen in der ständigen Angst leben, dass der nächste Tag ihr letzter sein kann".