So tickt Brasiliens "Tropen-Trump"
Von Walter Friedl
Der Amazonas sei wie eine Jungfrau, die entfaltet werden müsse. Das sagte der brasilianische rechtsnationalistische Staatschef Jair Bolsonaro einmal. Und alle wussten, was gemeint war: Eine Ausweidung des Waldgebietes zugunsten der Wirtschaft. "Der Präsident verfolgt eine neoliberale Politik in seiner radikalsten Form", meint dazu die Lateinamerika-Expertin Ursula Prutsch im KURIER-Gespräch.
Doch mit seiner entfesselten Amazonas-Politik, die Agro-Unternehmen und Großfarmer zum Feuerzeug greifen ließ, könnte Bolsonaro den Bogen überspannt haben.
„Im Hintergrund toben Machtkämpfe. Selbst das Militär, das unter der Administration eigentlich privilegiert ist, steht in dieser Frage nicht geschlossen hinter dem Präsidenten“, analysiert die Historikerin.
Protest der Gouverneure
Die Streitkräfte seien immer schon in der Tradition gestanden, den Regenwald zu schützen und die nationale Souveränität hoch zu halten. „Der radikale Ausverkauf an internationale Konzerne, vor allem, was den Abbau von Bodenschätzen betrifft, geht da vielen zu weit“, so Prutsch, die soeben ein Buch über Populismus auf dem amerikanischen Kontinent geschrieben hat. Dass nun auch die Gouverneure der Amazonasregion eine andere Umweltpolitik vom Staatsoberhaupt verlangen, weil sie internationale Sanktionen und einen schweren Image-Verlust des Landes fürchten, rundet das Bild ab.
Und der polternde Populist in Brasilia? „Der ist ebenso wankelmütig wie sein Vorbild Donald Trump in Washington. Überspitzt formuliert: Fünf widersprüchliche Handlungen und Aussagen pro Tag“, formuliert die Expertin. Das zeigte sich auch bei dem Angebot der G7, zur Bekämpfung der Feuersbrunst 18 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen. Zunächst wies Bolsonaro die Hilfe mit dem Hinweis auf kolonialistisches Gehabe brüsk zurück, jetzt will er sie doch annehmen – wenn Brasilien alleine über den Einsatz des Geldes verfügen könne.
Ob der „Tropen-Trump“, der sich wie „The Donald“ weiter nördlich seine eigene Realität zurechtzimmert, tatsächlich seiner „Kettensägen-Politik“ abschwört, muss eher bezweifelt werden. Ein Indiz dafür: Weil die nationale Weltraumbehörde im Juli eine Steigerung der Abholzgeschwindigkeit festgestellt hatte, feuerte Bolsonaro deren Chef kurzerhand – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
"Hetze"
Umwelt-NGOs machte der 64-Jährige schon mal verantwortlich für die derzeitigen Brände: Sie hätten sie gelegt aus Rache für die Subventionskürzungen. „Das entspricht seiner allgemeinen Hetze gegen alles, was links oder vermeintlich links ist“, sagt Ursula Prutsch. Dementsprechend habe das Staatsoberhaupt auch schon allen Ernstes laut darüber nachgedacht, die Studienrichtungen Philosophie und Soziologie gänzlich abzuschaffen – „weil in seinen Augen die nichts bringen außer ,nichtsnutze Studenten’“, betont die Professorin, die in München lehrt.
Unis im Visier
Generell scheinen Bolsonaro die akademischen Schmieden suspekt und ein Dorn im Auge zu sein. Seinen Vorstoß, die Budgetmittel für öffentliche Unis um satte 30 Prozent zu kappen, musste er aber nach massivem Druck vorerst auf Eis legen. Die bisherigen Austauschprogramme können derzeit aber nicht erfolgen. „Brasilien verabschiedet sich vom internationalen Wissenschaftsbetrieb“, stellt Prutsch fest, die immer wieder zu Studienzwecken in das Land reist.
Auch von der repräsentativen Demokratie hält der langjährige Hinterbänkler im brasilianischen Machtzentrum wenig. Dem Parlament könne man nicht trauen, meinte jener Mann, der durchaus schon lobende Worte für die Zeit der Militärdiktatur (1964-1985) gefunden hatte. Dies trug ihm massive Schelte in Brasilia ein.
"Unterwanderung des demokratischen Systems"
„Aufgrund dieser Konflikte sowie der Tatsache, dass er innenpolitisch kaum Arbeitsnachweise vorlegen kann und wegen seiner allgemeinen Unzulänglichkeit ist die Zustimmung zu Bolsonaro auf 30 Prozent gesunken“, zitiert Prutsch neueste Umfragen. Doch: Wenn es zu keinem Amtsenthebungsverfahren käme, würde er noch mindestens gut drei Jahre im Amt bleiben – mit möglicherweise dramatischen Konsequenzen. Denn „sein Sohn, Eduardo Bolsonaro, ist der Lateinamerika-Vertreter der ultra-rechten Populisten-Initiative ,Movement‘ von Steve Bannon“, so die Expertin, „deren Ziel ist die systematische Unterwanderung des demokratischen Systems.“