Corona-Krise: Einkaufsgutscheine für bedürftigste Italiener
In Italien kletterte am Samstag die Zahl der Corona-Toten auf über 10.000 Menschen. 3.856 Patienten kämpfen auf den Intensivstationen um ihr Leben. Mehr als 92.000 Italiener sind infiziert. Zugleich steigt die soziale Not, aus Palermo wurde berichtet, dass eine Gruppe Menschen einen Supermarkt gestürmt habe.
Italiens Premier Giuseppe Conte reagiert noch am Samstag auf die wachsende Angst vor sozialen Revolten. Seine Regierung kündigte an, 4,3 Mrd. Euro locker achen, um die bedürftigsten Bürger mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen zu können.
Schon Anfang kommender Woche sollen die Bürgermeister in der Lage sein, Einkaufsscheine zu verteilen, oder direkt Lebensmittelprodukte liefern zu lassen. Dies soll auch mithilfe ehrenamtlicher Helfer erfolgen.
"Wir schauen nicht weg"
Zugleich sollen Spenden gefördert werden. Conte appellierte an den Großhandel, Bürgern, die mit Einkaufsscheinen Waren erwerben, Preissenkungen zu gewähren. Conte: „Viele Bürger sind in Schwierigkeiten, wir erleben harte Zeiten. Wir schauen nicht weg, niemand darf allein gelassen werden. Wir sitzen alle im selben Boot.“
Zugleich drängte der Premier auf Solidarität der anderen europäischen Länder durch gemeinsame europäische Schuldeninstrumente. Sollte die EU nicht sofort Maßnahmen ergreifen, müssten die nächsten Generationen die „immensen Kosten einer zerstörten Wirtschaft“ tragen, sagte er. Es brauche einen außerordentlichen Wiederaufbauplan für Europa ähnlich dem Marshall-Plan nach 1945: „European Recovery Bonds“.
Solidarität gefordert
Italien drängt wie Frankreich und Spanien und Italien auf diese "Corona-Bonds". Länder wie die Niederlande und Österreich sie jedoch ab. Italiens Ex-Premier Enrico Letta fand dafür scharfe Worte: „Die selbst ernannten Tugendhaften beschuldigen die anderen wieder einmal, zu viel auszugeben.“ Das sei „verantwortungslos“. Die Position der beiden Länder, so Letta, „wird sich sicher innerhalb von 20 Tagen ändern, wenn sie dann selbst die Situation haben werden, die andere Länder jetzt durchmachen“.
"Will kein egoistisches Europa"
Frankreich stehe Italien bei, betonte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und appellierte an die EU-Staaten zu mehr Solidarität: „Ich will kein egoistisches und geteiltes Europa. Wir werden diese Krise nicht ohne eine starke europäische Solidarität in gesundheitlicher und finanzieller Hinsicht überstehen.“ Er forderte ein gemeinsames Handeln, um die Ausgaben in dieser Krise zu finanzieren. „Die Zahl ist zweitrangig, es ist das Signal, das zählt.“
Macron ärgert sich in Interviews mit italienischen Zeitungen, dass „viel geredet wird über chinesische oder russische Hilfe. Aber warum sprechen wir nicht darüber, dass Frankreich und Deutschland Italien zwei Millionen Atemmasken und Zehntausende Schutzanzüge geliefert haben?“ Das sei zwar nicht genug, aber ein Anfang.
Zu Hause in Frankreich - wo die Zahl der Toten bis Samstagabend auf 2.314 und jene der Infizierten auf 37.575 kletterte – wird Macron wegen der Kommunalwahlen, die er just zwei Tage vor dem landesweiten Lockdown noch durchziehen ließ, medial gebeutelt.
Auf der Bremse steht dabei auch Deutschland, das Italien und Frankreich bei der Versorgung von Schwerstkranken beisteht. In den vergangenen Tagen wurden Covid-19-Patienten aus dem französischen Elsass in Spitäler im Saarland oder in Baden-Württemberg gebracht.
Am Samstag holte der Airbus A310 MedEvac – die fliegende Intensivstation der Bundeswehr – in Bergamo sechs schwer erkrankte Italiener ab. Die Patienten wurden während des Fluges nach Köln von drei Ärzten und drei Pflegern versorgt und dann auf mehrere Intensivstationen verteilt. „In Zeiten größter Not ist es selbstverständlich, dass wir unseren Freunden zur Seite stehen“, sagte Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer. „Europa muss zusammenhalten.“
Frisur des Präsidenten
Darauf hofft auch Italiens Präsident Sergio Mattarella von der EU: „Ich hoffe, dass jeder die Schwere der Bedrohung Europas vollkommen begreift, bevor es zu spät ist“, sagte er in einer seiner raren TV-Ansprachen.
Zum Lachen brachte er seine leidgeprüften Landsleute dennoch: Auf den Hinweis eines Beraters, einen widerspenstigen Haarschopf zu zähmen, konterte er trocken, er komme halt nicht mehr zum Friseur.