Politik/Ausland

Israelische Armee kündigt "integrierten und koordinierten Angriff" an

Die israelische Armee hat eine Bodenoffensive gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas angekündigt. Man bereite sich auf einen "integrierten und koordinierten Angriff aus der Luft, vom Meer und dem Land" auf die islamistische Gruppe vor, teilte die Armee am Samstagabend in Tel Aviv mit. Die Vorbereitungen stünden vor dem Abschluss. Dazu zähle die Einberufung von Hunderttausenden Reservisten sowie deren Ausrüstung.

Einsatzkräfte seien bereits im Land stationiert

Einsatzkräfte seien bereits im ganzen Land stationiert und bereit, "die Bereitschaft für die nächsten Phasen des Krieges zu erhöhen, wobei der Schwerpunkt auf einer bedeutenden Bodenoperation" liege, hieß es weiter. Man bereite eine "breite Palette von Plänen für Offensivoperationen" vor.

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Kurz zuvor hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die nächste Phase im Krieg gegen die Terrorgruppe angekündigt. Bei einem Truppenbesuch nahe der Grenze zum Gazastreifen sagte er am Samstag zu den Soldaten: "Seid ihr bereit für die nächste Phase? Die nächste Phase kommt." In dem Video war zu sehen, wie die Soldaten nickten.

Dass es eine Bodenoffensive geben wird, gilt seit Donnerstag als ausgemacht. Damals hatte die israelische Armee die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen ultimativ aufgerufen, sich in den Süden des schmalen Küstenstreifens zu begeben. Nach Auslaufen des Ultimatums gab die Armee den Bewohnern am Samstag neuerlich sechs Stunden Zeit, sich auf einer eingezeichneten Fluchtroute nach Khan Yunis zu begeben.

Evakuierungsaufruf für eine Million Menschen

Vom Evakuierungsaufruf war eine Million Menschen betroffen. Hunderttausende Menschen haben sich laut der Armee bereits auf den Weg in Richtung Süden gemacht. "Wir sind uns im Klaren, dass dies Zeit brauchen wird", sagte Militärsprecher Richard Hecht am Samstag.

Die im Gazastreifen herrschende Terrorgruppe Hamas benutzt die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde und lehnte eine Evakuierung ab. Die Palästinenser würden weder den Gazastreifen noch das Westjordanland verlassen und nicht nach Ägypten ausreisen, sagte Hamas-Chef Ismail Haniyeh am Samstag in einer TV-Rede. "Unsere Entscheidung ist es, in unserem Land zu bleiben", betonte er.

Die israelische Armee vermeldete am Samstagabend den Fund von Leichen einiger Israelis, die von der radikal-islamischen Hamas verschleppt worden waren. Sie seien am Rande des Gazastreifens gefunden worden, hieß es. Später teilte ein Armeesprecher mit, dass es derzeit 126 Geiseln im Gazastreifen gebe. Die Zahl militärischer Opfer liege bei 279. Zuvor hatte die Armee berichtet, bei Angriffen auf Einsatzzentralen der Hamas im Gazastreifen auch den der mutmaßlich Verantwortlichen des Massakers an israelischen Zivilisten getötet zu haben.

Luftangriffe

Merad Abu Merad, Leiter des Hamas-Luftüberwachungssystems in Gaza-Stadt, sei maßgeblich für die Steuerung der Terroristen während des Massakers verantwortlich gewesen, teilte das israelische Militär Samstag früh mit. Auch Ali Kadi, der als Kommandant einer Eliteeinheit den Überfall bewaffneter Kämpfer auf Ortschaften im Süden Israels vor einer Woche angeführt hatte, sei bei einem Luftangriff getötet worden, teilte die Armee am Samstag mit.

Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah grifft am Samstag erneut israelische Stellungen an. Dabei sei ein "großer Teil der technischen Ausrüstung der Besatzer" in den Shebaa-Farmen zerstört worden, teilte die Organisation am Samstag mit. Bereits am Nachmittag hatte es einen Feuerwechsel an der Grenze gegeben. Bei dem Gefecht am Nachmittag habe es zwei Todesopfer unter Zivilisten gegeben, sagte ein libanesischer Politiker am Samstag. Auch mehrere Häuser seien durch den israelischen Beschuss beschädigt worden.

Israel wolle nicht in einen Zwei-Fronten-Krieg geraten

Der israelische Nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi betonte, dass die Aktionen der mit der Hamas verbündeten Schiitenmiliz bisher "unter der Eskalationsschwelle" seien. Israel wolle nicht in einen Zwei-Fronten-Krieg geraten. "Wir hoffen, dass Hisbollah nicht die faktische Zerstörung des Libanon auslöst", sagte er. In der Früh hatte die israelische Armee eine "Terrorzelle" zerschlagen, die vom Libanon ins Land eindringen wollte.

Die Machthaber im Gazastreifen gaben die Zahl der getöteten Palästinenser am Samstag mit 2.215 an. Zudem seien 8.714 Menschen verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen am Samstag mit. Hamas-Angaben zufolge starben bei israelischen Luftangriffen auch neun Geiseln, darunter vier Ausländer.

Terroristen hatten vor genau einer Woche im Auftrag der Hamas ein Massaker unter israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet - das schlimmste seit Israels Staatsgründung. Mehr als 1.300 Menschen kamen dabei ums Leben.

Israels Aufforderung zur Massenevakuierung ist umstritten. Die Vereinten Nationen forderten Israel bereits am Freitag auf, die Anweisung zu widerrufen. Es drohe eine "katastrophale Situation". Auch aus Saudi-Arabien sowie Ägypten und Jordanien gab es scharfe Kritik. Der türkische Außenminister Hakan Fidan sagte am Samstag in Kairo, sein Land lehne eine Ausweisung von Palästinensern aus dem Gazastreifen ab. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock drängte nach Gesprächen in Kairo auf rasche humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. "Den Menschen in Gaza fehlt es gerade an allem", sagte sie.

Die EU-Kommission kündigte eine Verdreifachung der humanitären Hilfe für den Gazastreifen auf mehr als 75 Millionen Euro an. UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte am Samstag, dass die Lage im Gazastreifen "rasch untragbar" werde. Dort gebe es keinen Strom, kein Wasser, keinen Treibstoff und die Lebensmittel gingen zur Neige, so Griffiths. Die Menschheit habe im aktuellen Konflikt "versagt", kritisierte er. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) stellte sich indes klar hinter Israel. "Jedes zivile Opfer im Gazastreifen ist der Hamas zuzuschreiben", sagte Schallenberg im Ö1-"Journal zu Gast" am Samstag.