Impfstoff-Verteilung: Kurz will EU-Gipfel
Bundeskanzler Sebastian Kurz hat in einem gemeinsamen Brief (siehe unten) mit vier Amtskollegen einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoff-Verteilung gefordert.
Damit alle EU-Staaten ihre Impfziele für das zweite Quartal erreichen, solle EU-Ratspräsident Charles Michel "so bald wie möglich" einen Gipfel abhalten, heißt es in dem am Samstag veröffentlichen Schreiben der Premiers von Österreich, Tschechien, Slowenien, Bulgarien und Lettland an die EU-Spitze.
Das Schreiben an Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholt im wesentlichen die von Kurz am Freitag in einer Pressekonferenz gemachten Aussagen. Kurz und seine Amtskollegen Andrej Babis (Tschechien), Janez Jansa (Slowenien), Bojko Borissow (Bulgarien) und Krisjanis Karins (Lettland) berichten, sie hätten "in den vergangenen Tagen entdeckt", dass die Lieferungen der Impfstoffdosen durch die Pharmafirmen nicht laut dem Bevölkerungsschlüssel erfolgen. Kurz sprach von einer Art "Basar" im sogenannten Steering Board der EU, wo Abmachungen zwischen Mitgliedsstaaten und Pharmaunternehmen getroffen worden sein sollen.
"Wenn dieses System so weitergeht, würde das bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen", so die fünf Regierungschefs. "Aus unserer Sicht widerspricht das nicht nur unserer Vereinbarung, sondern auch dem Geist der europäischen Solidarität." "Aus diesem Grund rufen wir Dich, Charles, auf, so bald wie möglich eine Gipfeldiskussion über diese wichtige Frage abzuhalten."
Verwunderung in Brüssel über Kurz
In Brüssel kann man die Aufregung des Kanzlers so nicht nachvollziehen und wundert sich, warum Kurz das überhaupt zum Thema macht. Seit längerem ist bekannt, dass nicht alle Staaten die ihnen theoretisch zustehenden Mengen auch tatsächlich abrufen.
Staaten können freiwillig auf Dosen verzichten - Bulgarien und Lettland etwa taten dies aus Kostengründen. Die frei gewordenen Kontingente können dann andere EU-Staaten aufkaufen. Dänemark und Malta etwa griffen hier großzügig zu.
Auch Österreich hätte auch mehr Impfstoff kaufen können. Bei Moderna sagte man aus Zeitgründen "Nein Danke". Und auch bei Biontech/Pfizer sicherte sich Österreich nicht jene Mengen, die es hätte haben können. Zwei Prozent aller in der EU vorhandenen Dosen wären Österreich nach Schlüssel zugestanden. Man sicherte sich allerdings nur 1,5 Prozent des EU-Angebots, berichtet der Standard.
Gesundheitsministerium kontert Kurz-Kritik
Auch das Gesundheitsministerium widerspricht der Kritik des Kanzlers. Die Verhandlungen über die Verteilung seien "ausgewogen und transparent" gelaufen, sagte die Generalsekretärin des Ministeriums, Ines Stilling, laut dem ORF-Radio Ö1. Alle Mitgliedstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden.
Jeder Mitgliedstaat sei bei den Verhandlungen im Sommer 2020 gefragt worden, wie viel er von jedem bestimmten Impfstoff haben wolle. Angebot sei zumindest ein Anteil an Dosen eines bestimmten Impfstoffs gemäß Anteil der Bevölkerung eines Mitgliedslandes an der EU-Gesamtbevölkerung gewesen.
Jedes Mitgliedsland habe sich an jedem Impfstoff aber unterschiedlich viel gesichert. Es sei nicht nach dem Prinzip gegangen, wer zuerst oder am lautesten rufe, betonte Stilling.
Die Impfstoffverteilung sei zudem laufend Thema im Ministerrat, so dass auch das Bundeskanzleramt laufend informiert sei. Seit Jänner gebe es in Österreich sogar einen eigenen Steuerungsausschuss zu Beschaffung und Lieferplänen unter Einbeziehung des Bundeskanzleramts, ergänzte Stilling.
Malta und Deutschland weisen Kritik zurück
Deutschland trat der Kritik von Bundeskanzler Kurz entgegengetreten. Grund sei, dass EU-Staaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, so ein Regierungssprecher am Freitag in Berlin. "Für den Fall, dass Mitgliedstaaten die ihn zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, wurde ein Verfahren etabliert, das anderen Mitgliedstaaten den 'Aufkauf' dieser nicht abgenommenen Dosen ermöglicht". Auch dabei würden die Bestellungen nach demselben Verfahren verteilt. "Wenn ein Mitgliedstaat dabei keine Dosen bestellt, erhält er auch nichts."
Auch Malta wies die Vorwürfe, sich heimlich mit Extra-Impfdosen gegen das Coronavirus versorgt zu haben, am Abend zurück. Gesundheitsminister Chris Fearne erklärte laut dpa am Freitag in der Hauptstadt Valletta, die Impfstoffe seien über den Mechanismus beschafft worden, dem alle EU-Mitgliedstaaten und auch die EU-Kommission zugestimmt hätten.