Die Freilassung Dutzender Hamas-Geiseln scheint in Reichweite
Von Evelyn Peternel
Wie es ihnen geht, ob sie überhaupt noch am Leben sind, ist völlig unklar. Beinahe nach jedem Angriff Israels behauptete die Hamas, dass unter den Toten auch einige jener 236 Israelis seien, die die Hamas am 7. Oktober entführt hatte. Ob das Taktik war, um Israels Streitkräfte einzuschüchtern? Oder tatsächlich der grausamen Wahrheit entsprach? Auch das weiß man nicht.
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Jetzt sieht es allerdings danach aus, als ob zumindest ein Teil der Verschleppten freikommen könnte. Laut Washington Post sei die Hamas sei zur Entlassung von 87 Verschleppten bereit, wenn Israel dafür eine fünftägige Feuerpause einhält und im Gegenzug weibliche und minderjährige palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freilässt.
Katar, das an den Verhandlungen ebenso beteiligt war wie die USA, sprach von nur mehr „geringfügigen“ Hindernissen am Weg zu einem Abkommen. Die verbliebenen Fragen seien „logistischer und praktischer“ Natur, sagte Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman al-Thani. Aus den USA hieß es, man sei an einer Einigung näher dran als je zuvor. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bestätigte das allerdings nicht.
Wann der Deal umgesetzt werden könnte, ist weiterhin nicht bekannt. Laut Washington Post ist denkbar, dass bereits in der Nacht auf Sonntag erste Gefangene freikommen könnten. Fünf Frauen wurden in den vergangenen Wochen bereits von der Hamas freigelassen oder von Israels Armee befreit, jetzt sollen wieder vor allem Frauen und Kinder entlassen werden.
Unter den 236 Entführten sind 26 Kinder – auch ein neun Monate altes Baby, das gemeinsam mit seinem vierjährigen Bruder und seiner Mutter von der Hamas verschleppt wurde.
Proteste für Vermittlungsversuche der Regierung in Israel
Der Umgang mit Entführten spaltet Israel, und das schon seit Jahrzehnten. Angehörige der Geiseln demonstrieren regelmäßig für die Freilassung der Entführten, auch am Samstag marschierten sie mit Unterstützung Tausender Israelis Richtung Jerusalem und forderten mit dem Rufen „Jetzt, jetzt, jetzt“ ein sofortiges Handeln der Regierung. Auf der anderen Seite gibt es viele Israelis, die auf der Straße gegen Verhandlungen mit der Hamas eintreten, sie werten das als Einknicken vor den Terroristen.
Als Wendepunkt im Umgang mit Verschleppten gilt der Fall des entführten Soldaten Gilad Schalit. Er war 2006 von der Hamas als Geisel genommen worden, um Israel palästinensische Gefangene abzupressen; auf derartige Deals hatten sich Israels Regierungen zuvor aber nie eingelassen. Unter Premier Yitzhak Rabin wurde Mitte der 1970er sogar die Doktrin verabschiedet, dass zwar jedes jüdische Leben unbezahlbar sei, aber jeder Entführte mithilfe des Militärs zu befreien sei. Man nahm damit auch den Tod eigener Staatsbürger in Kauf.
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Der Fall Schalit änderte diese Haltung aber. Er kam nach fünf Jahren Gefangenschaft im Austausch gegen 1.027 palästinensische Häftlinge frei, doch dieser Tausch – den übrigens Benjamin Netanjahu verantwortete – ist bis heute in Israel umstritten. Unter den Freigelassenen waren viele hochrangige Hamas-Kämpfer, etwa auch Yahya Sinwar, der heute die Hamas in Gaza anführt.