Politik/Ausland

Großbritannien steuert neun Monate Brexit-Verzögerung an

John Bercow liebt große Auftritte. Die Ordnungsrufe des Sprechers im Londoner Unterhaus sind inzwischen weltweit populär. Den bisher größten Auftritt aber vergönnte sich Bercow am Montag. Da fuhr der 56-Jährige Premierministerin Theresa May in die Parade. Er werde den Plan, in dieser Woche noch einmal über ihrem Brexit-Deal im Unterhaus abstimmen zu lassen, nicht zustimmen. Ohne grundlegende Änderungen, berief sich Bercow auf parlamentarische Traditionen (seit 1604), dürfe man das Parlament kein zweites Mal befragen.

Eine krachende Niederlage für Theresa May, die seit Tagen versucht, endlich eine Stimmenmehrheit für ihren EU-Austrittsvertrag zustande zu bringen. Schließlich ist der in der Vorwoche zum zweiten Mal im Parlament durchgefallen.

Mays Argument: Ihr Deal sei besser, als den Brexit  auf die lange Bank zu schieben – und genau das drohe.Um den chaotischen EU-Austritt ohne Vertrag  zum geplanten Termin, Ende März, zu verhindern, bleibe ihr gar nichts anderes übrig, als die EU um Aufschub zu bitten. Über den soll am Donnerstag dieser Woche beim EU-Gipfel entschieden werden. May, so viel steht fest, wird in jedem Fall einen Antrag stellen. Ein Veto eines EU-Staates –etwa Italien oder Polen – ist, anders als in der Vorwoche kolportiert, eher unwahrscheinlich.

Dass die Abstimmung in London nun abgeblasen scheint, hat auch gravierende Auswirkungen auf die geplante Brexit-Fristverlängerung. Drei Monate, wie bisher angedacht, scheinen nun sinnlos. London peilt daher eine großzügige Verlängerung an. Wie britische Medien berichten, gelten derzeit neun Monate als wahrscheinlich. Dann aber müsste Großbritannien an der EU-Wahl teilnehmen. Darauf aber sind weder das Land noch die EU vorbereitet, bürokratische Hürden   sind zu überwinden.

Plötzlich sanftmütig

Zuletzt hatten sich einige der härtesten EU-Gegner mit Mays Deal angefreundet. So deutete der Wortführer der Brexiteers, Jacob Rees-Mogg, an, dass er sich lieber für Mays Deal als eine endlose Brexit-Verzögerung entscheide. Andere EU-Gegner aber sehen jetzt noch bessere Chancen für ihr Ziel: Den EU-Austritt ohne Vertrag. Der sei nämlich, betonen sie in einem offenen Brief, der Anfang für einen „wirklich guten Brexit–Deal“.