Politik/Ausland

Gift gegen Kritiker: Russlands bekannteste Anschlagsopfer

Nach seiner angeblichen Vergiftung zeigt Alexej Nawalny Galgenhumor: „Jetzt sehe ich nur noch aus wie einer, der eine Woche lang durchgetrunken hat“, heißt es in einem Blogeintrag, den der prominente Kremlkritiker in seiner Gefängniszelle in Moskau verfasste.

Der 43-Jährige, der vorige Woche wegen eines Protestaufrufs zu 30 Tagen Haft verurteilt worden war, veröffentlichte ein Foto, auf dem sein Gesicht gerötet und geschwollen aussieht. Und er beschreibt seine Sicht der Ereignisse: Wie Mitgefangene ihn Samstagmittag auf Rötungen am Hals aufmerksam machten, wie sein Gesicht immer mehr brannte, bis ihn ein Zellengenosse drängte, den Arzt zu rufen.

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Sofort ins Spital überwiesen, wurde Nawalny mit Kortison behandelt, berichtet er – und mutmaßt wie seine Anwältin über eine Vergiftung. Er wolle zwar nicht ausschließen, dass die Diagnose „Kontaktallergie“ stimme, allerdings habe er noch nie eine allergische Reaktion gehabt.

Auch sei er in der selben Zelle wie bei der letzten Haftstrafe vor zwei Wochen untergebracht und nutze grundsätzlich eigene Hygieneartikel und Bettwäsche. „Aus meiner Gefängnistasche, die immer bereit steht“, schreibt Nawalny, der nach eigenen Angaben „zum neunten oder zehnten Mal“ in Haft sitzt.

Nawalny schließt aus, dass Gefängniswärter Gift in die Zelle geschmuggelt haben könnten: „Die waren über mein Aussehen schockierter als ich.“ Er wolle nun die Bilder der Überwachungskameras sichten. Sollte sich jemand Zugang zur Zelle verschafft haben, sei das ein Beweis für eine Vergiftung – „dumm genug“ seien die Mächtigen in Moskau dafür allemal, so Nawalny.

Nowitschok, Polonium, Dioxin

Der Jurist wäre nicht der erste Kremlkritiker, Oppositionelle oder übergelaufene Spion, der vergiftet wurde. Für wochenlanges Aufsehen, diplomatische Reibereien und Sanktionen gegen Russland sorgte im März 2018 der Anschlag auf den früheren russisch-britischen Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien. Der 66-Jährige, der seit einem Gefangenenaustausch 2010 in Salisbury lebte, war gemeinsam mit seiner Tochter Julija, 33, auf einer Parkbank zusammen gebrochen.

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Wie sich herausstellte, waren die beiden mit dem in der Sowjetunion entwickelten Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden, der vermutlich auf die Klinke von Skripals Haustür gestrichen worden war. Vater und Tochter überlebten knapp, eine unbeteiligte Frau, die ebenfalls mit dem Gift in Kontakt gekommen war, starb.

Die britische Justiz erhob Anklage gegen zwei Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU, die russische Führung wies jede Verantwortung für den Giftanschlag von sich – wie auch in den Vergiftungsfällen der Jahre zuvor.

Ebenfalls in Großbritannien wurde 2006 Ex-Agent Alexander Litwinenko ermordet. Der 44-jährige Kremlkritiker gehörte zum Londoner Exilantenkreis um den Oligarchen Boris Beresowski, der 2013 unter ungeklärten Umständen Selbstmord beging.

Litwinenko ging elend zugrunde, nachdem er mit zwei Russen in London Tee getrunken hatte. Dem Getränk war das hochgradig radioaktive Polonium beigemengt worden.

In der Ukraine erkrankte 2004 Präsidentschaftskandidat Viktor Juschtschenko, Gegner des russlandtreuen Kandidaten Janukowitsch. Österreichische Ärzte stellten eine Dioxinvergiftung bei dem damals 50-Jährigen fest.

"Regenschirmattentat"

Einer der bekanntesten Anschläge, an dem der sowjetische Geheimdienst KGB beteiligt gewesen sein soll, war das „Regenschirmattentat“ auf den oppositionellen bulgarischen Schriftsteller Georg Markow 1978.

Bei einer Bushaltestelle in London spürte der 49-Jährige einen Stich im Bein, ein Mann mit Regenschirm entschuldigte sich. Markow bekam hohes Fieber und starb vier Tage später. Bei einer Obduktion wurde im Bein des Toten eine Platinkapsel gefunden, gefüllt mit Rizin.