"Gelbwesten": Pechvogel Macron schießt wieder Eigentor
Von Danny Leder
Frankreichs Staatschef wird vom Pech verfolgt. Nach über sieben Wochen „Gelbwesten“-Aufruhr sah sich Emmanuel Macron im Begriff, endlich wieder Oberhand zu gewinnen, so berichteten unlängst Vertraute des Präsidenten. Mit dem Bekenntnis zu härterem Durchgreifen gegen die gewalttätigen Kerne einer zahlenmäßig schwächelnden Bewegung sollte dem wachsenden Wunsch nach Ordnung entsprochen werden – bei gleichzeitiger Öffnung zu einem breiten Dialog mit den Bevölkerungsteilen, die sich bisher übergangen fühlten. Titel dieser Initiative: „Le Grand Débat“ (Die große Debatte).
Aber diese landesweite und für drei Monate geplante Diskussions-Tour, die schon nächsten Dienstag mit einer Veranstaltung mit Macron in der Normandie beginnen soll, veranlasste jetzt noch vor ihrem Start eine mehr als peinliche Enthüllung, die die Glaubwürdigkeit des ganzen Projekts in Frage stellt: die eben erst als Leiterin des „Grand Débat“ nominierte ehemalige Sportministerin Chantal Jouanno musste all sofort wieder das Handtuch werfen, nachdem bekannt wurde, dass sie mit 14.666 Euro monatlich ein höheres Brutto-Gehalt als der Premierminister bezieht.
Zwölf Mal Karate-Meisterin
Jouanno, die ursprünglich als zwölf malige Frankreich-Meisterin in Karate brillierte und später an der Seite des konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy ihre Politkarriere begann, gestand jetzt selber bei einem TV-Auftritt, dass die „Polemik“ um ihr Gehalt „berechtigt“ sei.
Aber der Fall Jouano ist mehr als nur eine schreckliche Fehlbesetzung für eine Debatte, bei der es ja nicht zuletzt um Einkommensgerechtigkeit geht. Zumal sie zwar als Leiterin des aktuellen „Grand Débat“ zurücktrat, nicht aber als Vorsitzende einer ziemlich obskuren „Kommission für öffentliche Debatten“. Für diesen permanenten und erstaunlich hoch dotierten staatlichen Posten wurde Jouanno bereits im vergangenen März nominiert.
Volltreffer für „Gelbwesten“
Diese Enthüllung ist ein unbeabsichtigter Volltreffer für die „Gelbwesten“. Ein Großteil ihrer Wortführer verwarfen von Anfang an Macrons Diskussions-Initiative als „abgekartete Inszenierungen“ und forderten statt dessen eine Debatte unter der Leitung von „neutralen“ Persönlichkeiten, die, so die sinngemäßen Erklärungen, über „jeden Korruptionsverdacht erhaben“ und „finanziell nicht mit dem etablierten System verfilzt“ wären.
Regierungschef Edouard Philippe tat freilich die Affäre um Jouannos Rücktritt als „Nebensächlichkeit“ ab. Nach Beendigung eines entsprechenden Vorbereitungsseminars der Regierung versicherte der Premierminister am Mittwoch, er wünsche eine „reichhaltige Debatte“, in der sich jeder in „voller Transparenz“ äußern werde können. Damit die Diskussionen in einem halbwegs fassbaren Rahmen verlaufen, hat die Regierung vier zentrale Themenkomplexe vorgegeben: die ökologische Umwandlung, die Steuerpolitik, Demokratie und Bürger-Mitbestimmung, die künftige Organisation des Staats und der öffentliche Dienste.
Gleichzeitig warnte der Regierungssprecher Bernard Griveaux, namentlich in Hinblick auf die Wünsche der Linksopposition: „Diese große Debatte wird zu keiner Nachhol-Runde für diejenigen, die von den Wahlergebnissen (im Mai 2017, als Macron gelangte) enttäuscht sind. Wir werden nichts von dem zurücknehmen, was wir in den letzten 18 Monaten beschlossen haben“. Das betrifft vor allem die Abschaffung der Vermögenssteuer (ab 1,3 Millionen Euro) durch Macron. Ein Teil der Aktivisten der „Gelbwesten“ hatten immer wieder die Wiedereinführung dieser Vermögenssteuer gefordert. Allerdings stehen andere Vorschläge für Steuern, die die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung betreffen würden, jetzt von Seiten des Regierungslagers durchaus zur Diskussion.
Schon einmal ein Flopp
Das Hauptproblem bei diesem „Grand Débat“, jenseits der aktuellen Affäre um Jouanno, bleibt aber die praktische Umsetzung und Resonanz dieser Diskussionsveranstaltungen. Eine erste ähnlich konzipierte Diskussionstour von Macron zum Thema „EU und Bürgerwünsche“ ging in der Öffentlichkeit weitgehend unter.
Diesmal drohen zwei Gefahren: entweder gibt es wieder zu wenig Interesse, weil die enttäuschten und verärgerten Teile der Bevölkerung, die Macron ansprechen möchte, den Diskussionen komplett fernblieben. Oder aber, und das ist wahrscheinlicher, es kommen scharenweise „Gelbwesten“, die die Diskussionen zu aufgeheizten Anti-Macron-Versammlungen umfunktionieren.
Unwillige Bürgermeister
Für die Organisation der Diskussionen setzt die Regierung auf die Bürgermeister, von denen viele aber bereits angekündigt haben, dass sie für derartige Veranstaltungen der Staatsführung nicht zur Verfügung stünden.
In einigen Ortschaften haben Bürgermeister von sich aus bereits selbständige Diskussionen mit den „Gelbwesten“ organisiert, die großen Zulauf hatten. Der Bürgermeister der bretonischen Kleinstadt Paimpol, ein Zentrumspolitiker, der so wie viele andere Rathausbosse den Bürgern seiner Gemeinde auch ein „Beschwerde-Heft“ für Eintragungen zur Verfügung gestellt und eine Veranstaltung mit den „Gelbwesten“ ermöglicht hat, resümiert: „Die Menschen haben viele Anliegen, aber wenn man sich die genau anschaut, merkt man, dass diese Ideen oft untereinander unvereinbar sind.“