Politik/Ausland

Frankreich wählt: Wie weit rückt das Land nach rechts?

Der Gang zum Wahlbüro an diesem Sonntag war sichtlich kein leichter für Gabriel Attal. Der französische Premierminister wirkte ernst und verhalten, als er von Kameras begleitet im Pariser Vorort Vanves sein Votum abgab. Der 35-Jährige weiß, dass wohl seine letzten Tage an der Spitze der Regierung angebrochen sind. 

Wird ihn im Zuge der zweiten Runde der Parlamentswahlen der 28-jährige Chef der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, ablösen? Oder eine Persönlichkeit mit weniger politischem Profil, auf die sich eine breite Koalition verschiedener Parteien einigen könnten?

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Der Wahltag ist von großer Unsicherheit begleitet, bei gleichzeitig großem Interesse trotz des Beginns der Sommerferien in Frankreich. Es zeichnet sich eine noch höhere Wahlbeteiligung ab als bei der ersten Runde vor einer Woche. Damals gaben 67 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, so viel wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr.

Absolute Mehrheit?

Erste Hochrechnungen werden für 20 Uhr erwartet. Vor dem Stichtag sagten Umfrageinstitute 205 bis 240 Sitze für den RN vorher. Eine absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung würde damit verfehlt. Bardella hatte angekündigt, dass er nur in diesem Fall Premierminister unter Präsident Emmanuel Macron werden und eine Regierung stellen würde. In jedem Fall dürften die Rechtspopulisten künftig durch mehr Parlamentarier an Einfluss hinzugewinnen – allen voran Marine Le Pen, die bisher schon Fraktionsvorsitzende der 88 RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung war. 

Im Vorfeld hatten sich die anderen Parteien gegen sie verbündet. In mehr als 200 Wahlbezirken, wo sich Kandidaten der drei großen Lager RN, Neue Volksfront und Macrons Mitte-Bündnis für die zweite Runde qualifiziert hatten, zogen sich die Drittplatzierten zurück, um die Wahlchancen der RN-Bewerber zu schmälern. Es war ein Wiedererstarken einer „republikanischen Front“ gegen die Rechtsextremen, die jahrzehntelang üblich war. Zuletzt hatte sie gebröckelt – bis nun eine Übernahme der Macht durch die Partei greifbar erschien. Ökonomen, Gewerkschafter, Künstler, Musiker und Sportler wie Fußball-Star Kylian Mbappé hatten im Vorfeld davor gewarnt. 

Die Machtverhältnisse im französischen Parlament, so viel lässt sich bereits vor Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen sagen, werden sich stark verändern. Auch die Parteien des linken Spektrums legten an Sitzen zu. Den Sozialisten, der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“), Grünen und Kommunisten konnten sich trotz einiger inhaltlicher und personeller Differenzen zu einem gemeinsamen Block zusammenzuschließen und in allen Wahlkreisen nur einen Kandidaten aufzustellen.

Macrons Partei ist geschwächt

Das Nachsehen hatte Macrons Lager. Bislang verfügten seine Partei Renaissance und ihre Bündnispartner über 250 Sitze. Im besten Fall, so hieß es vorab, würden sie 125 halten können, im schlechtesten nur 95. Die von der Regierung unterstützten Kandidaten hatten es abgelehnt, Macrons Gesicht auf ihr Wahlkampf-Material abzubilden, denn das galt längst als abschreckend für die Wähler. Durch seine im kleinsten Kreis getroffene Entscheidung am Abend der EU-Wahlen, die Nationalversammlung aufzulösen, hat er sich noch weiter von den Menschen entfernt – und von bisher loyalen Mitstreitern. 

Innenminister Gérald Darmanin hat angekündigt, nach der Wahl das Kabinett verlassen zu wollen und, sollte er ein Mandat erhalten, lieber als einfacher Abgeordneter „ein neues Projekt aufzubauen“. Und das kurz vor den Olympischen Spielen in Paris, bei denen die von Darmanin verantworteten Sicherheitsfragen entscheidend für das Gelingen der Großveranstaltung sein werden.

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Droht eine Blockade?

Macron gilt als stark geschwächt, obwohl ihm noch knapp drei Jahre im Amt bleiben. Alles sieht so aus, als stehe eine komplizierte „Kohabitation“ bevor, bei der der Präsident und der Regierungschef nicht vom selben politischen Lager sind. Damit drohen mühsame Absprachen oder gar eine Blockade, sollten Kompromisse nicht gelingen.

Zwar ließen in den vergangenen Tagen Politiker verschiedener Parteien durchscheinen, dass sie sich einer Regierungsbeteiligung nicht verwehren würden. Doch die Konsensbildung war bislang weder eine Stärke der französischen Opposition, noch von Macron. Von Gabriel Attal hieß es, er könne noch provisorisch im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gefunden sei. Wie lange das dauern wird? In Frankreich überwiegen derzeit die Fragezeichen, Antworten müssen noch warten.