Experten fordern weitere Sanktionen gegenüber Russland
Einigkeit hat am Dienstag bei einer vom Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche (wiiw) veranstalteten Online-Diskussion zur russischen Invasion in der Ukraine dahin gehend geherrscht, dass die Sanktionen gegenüber Russland verschärft werden müssten. Der Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 sei eine "sehr wichtige Botschaft" an Russlands Präsident Wladimir Putin gewesen, es brauche aber viel mehr, sagte etwa Hlib Vyshlinsky, Direktor des Centre for Economic Strategy in Kiew.
So sei noch nicht das ganze russische Banksystem vom internationalen Bankensystem SWIFT abgekoppelt, da Europa noch von den Gaslieferungen abhängig sei. Zumindest die Öllieferungen aus Russland sollten ersetzt werden, bei Gas sei das schwieriger, forderte Vyshlinsky. Zudem brauche es mehr Sanktionen gegen die russische Zentralbank und deren Goldreserven. Der massive Rückzug internationaler Unternehmen aus Russland sei wichtig, dennoch brauche es "noch mehr Druck auf Unternehmen, das Geschäft mit Russland zu beenden".
Vor allem müsse zunächst aber die Ukraine dabei unterstützt werden, dass der Krieg gewonnen werde, so Vyshlinsky. Immerhin sehe man, dass überall in der Ukraine gleich auf die Aggression Putins reagiert werde. Die Zivilgesellschaft sei geeint, sogar früher pro-russische Politiker hätten ihre Meinung gegenüber Russland geändert, betonte der ukrainische Wirtschaftswissenschafter.
"Ersatz für russisches Gas muss das Ziel sein"
Olga Pinduyk, Ökonomin und wiiw-Länderexpertin für die Ukraine, erklärte, dass derzeit rund 19 Millionen Menschen in umkämpften Regionen leben würden. Schon jetzt sei die ukrainische Wirtschaft massiv betroffen. Ein Drittel der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion sei eingebrochen. Die Hälfte der ukrainischen Exporte sei bisher über die Häfen exportiert worden, das sei ebenso wie der Flugverkehr gestoppt. Auswirkungen erwarten Pinduyk auf die globalen Nahrungspreise, da sowohl Russland als auch die Ukraine große Agrarexporteure seien.
"Auf kurze Sicht ist es nicht möglich, russische Gaslieferungen zu ersetzen, aber das muss das Ziel sein", forderte die gebürtige Ukrainerin. Klar sei, dass ein Wiederaufbau enorme Geldsummen kosten werde, dafür bräuchte es massive internationale Unterstützung, abgesehen davon, dass Russland für die Schäden zur Verantwortung gezogen werden müsste.
Stephanie Fenkart, Direktorin des International Institute for Peace (IIP) in Wien, konstatierte einen kompletten Meinungswandel innerhalb der Europäischen Union im Umgang mit Flüchtlingen. Noch nie sei die EU so geeint gewesen, wie jetzt. So sei es eine historische Entscheidung gewesen, den geflüchteten Ukrainern temporär den Schutzstatus zu gewähren mit Zugang zu sozialen Leistungen und dem Recht zu arbeiten.
Euro-Verbot für Russland?
Zweifelsohne hätte dies aber schon 2015 bei der Flüchtlingskrise eingeführt werden müssen, so Fenkart. Damals seien aber die Balten- und Visegrad-Staaten dagegen gewesen, weil die Menschen nicht dorthin geflüchtet seien. Eine EU-Integration der Ukraine werde es jedoch nicht geben, solange es diesen Konflikt mit Russland gebe. Äußerst wichtig sei jedenfalls die Frage, wie die EU künftig mit Russland umgehen werde.
Marcus How, politischer Risikoanalyst bei VE Insight, betonte die zentrale Rolle der EU bei der Beendigung des Krieges. Die russische Wirtschaft müsse weiter eingedämmt werden, der russische Sicherheitsapparat sei bereits dabei sich durch den Krieg zu überdehnen, so How. Wichtig sei es nun, die russischen Energieexporte einzuschränken. Moskau sei zweifelsohne zu Gegensanktionen gezwungen, daher sei das Ende der russischen Gaslieferungen nicht unrealistisch.
Als nächster Schritt müsste den russischen Banken die Verwendung von Euros verboten werden, dies müsse jedoch in Absprache mit Großbritannien geschehen, da London der größte Handelsplatz für Euros sei. Die EU sei jedenfalls eine "ökonomische Supermacht" und muss die internationale Gemeinschaft beeinflussen, so der Analyst.