Politik/Ausland

Ex-SPD-Chef Gabriel über Rückzug: „Dann soll man besser gehen“

Sigmar Gabriel ist kein Mann der leisen Töne, auch nicht beim Abschied. In einem Schreiben an Weggefährten teilte er mit, dass er sein Bundestagsmandat abgibt – aus „persönlichen Gründen“. Er führte seine Nebentätigkeiten als Lehrbeauftragter an, die Zeit in Anspruch nehmen, räumte aber Enttäuschungen ein. Er habe den Eindruck, „dass die SPD auf Bundesebene meiner Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht mehr bedarf“, erklärte der 60-Jährige. „Und wenn man nicht mehr recht gebraucht wird, dann soll man besser gehen.“ Rums.

Solche Seitenhiebe sind den Genossen bekannt. Im vergangenen Jahr häuften sie sich, wurden konfrontativer und richteten sich meist gegen Parteichefin Andrea Nahles. Immer wieder fuhr ihr Gabriel öffentlich in die Parade, als wäre er noch Vorsitzender. Mal empfahl er der SPD in der Koalition zu bleiben, dann trommelte er wieder für den Ausstieg. Das Verhältnis gilt als zerrüttet.

 

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Dabei arbeiteten sie einst Seite an Seite: 2009 wurde Gabriel zum Parteichef gewählt, sie zur Generalsekretärin. Beide kannten sich, keilten früher gemeinsam gegen Gerhard Schröder und Franz Müntefering. Doch sie waren sich immer mehr ab- als zugewandt, was oft zu Streit führte. So wie er ihn auch mit anderen hatte: Olaf Scholz, Malu Dreyer und zuletzt Martin Schulz, eigentlich ein Freund.

Als Nahles 2018 den SPD-Vorsitz übernahm, sollte der geschwächte Schulz Außenminister werden und Gabriel zum Hinterbänkler. Dieser klagte über „Wortbruch“ und dann fiel der Satz vom „Mann mit den Haaren im Gesicht“. Gabriel zitierte in einem Interview seine Tochter, die so über Schulz sprach. Damit schoss er für viele übers Ziel hinaus.

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Klar, Gabriel wäre gerne Außenminister geblieben. Die Rolle passte zu ihm: Er galt als brillanter Redner, selbstbewusst und angriffslustig. Mal kritisierte er Trumps „nationalen Egoismus“ vor der UN-Vollversammlung, dann vermittelte er in der Türkei für den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. Das kam bei den Wählern gut an; für kaum ein anderes Amt bekam der Mann aus Goslar so viel Zustimmung in Umfragen – und er hatte im Laufe seiner Karriere viele inne: Ministerpräsident in Niedersachsen, Umweltminister, Wirtschaftsminister und Vizekanzler der Großen Koalition.

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Gabriel galt lange als politisches Talent, doch die Rufe ihn im Kabinett zu halten, blieben am Ende aus. Der Mann, der sich nach Willy Brandt bisher am längsten als SPD-Chef hielt (2009-2017), polarisierte intern. Er gab den Ton an, blieb aber immer Solist. Unvergessen sind den Genossen sein Zickzackkurs beim Flüchtlingsthema: 2015 saß er mit „Refugees-Welcome“-Button im Bundestag, dann besuchte er eine Pegida-Veranstaltung und gestand jedem das Recht zu, "deutschnational" zu sein. In der SPD sorgte dieser Satz für großen Wirbel.

Seine zögerliche Entscheidung zur Kanzlerkandidatur brachte ihm ebenfalls Kritik ein, zwei Mal schlug er bereits andere vor. Im Wahlkampf 2017 konnte er sich dennoch nicht zurückhalten, übte Kritik daran, zog die Aufmerksamkeit der Medien auf sich und von Kanzlerkandidaten Schulz ab und gab Ratschläge - bis zuletzt. Gabriel, so der Eindruck, schien es immer besser zu wissen, aber keiner wollte mehr hinhören. An Zuhörern und Bühnen wird es ihm dennoch nicht mangeln: Er bleibt Vorsitzender der Atlantik-Brücke und hat Lehraufträge in Harvard und Bonn.

 

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