Suspendierung: EVP zeigt Orbán die Gelbe Karte
Es war der Tag der Wahrheit für die Europäische Volkspartei (EVP) und ihr schwierigstes Mitglied, die ungarische Fidesz: Doch vor einem Rauswurf der Regierungspartei von Premier Viktor Orban schreckte die EVP gestern zurück. Stattdessen wird die Mitgliedschaft der Fidesz vorerst auf Eis gelegt.
Stundenlang hatten die EVP-Delegierten im EU-Parlament gestritten, ehe sie zu ihrem eindeutigen Ergebnis kamen: 190 von ihnen stimmten für eine Suspendierung der Fidesz – ohne Enddatum. Nur drei Delegierte votierten dagegen.
Und einmal mehr zeigte – das nach eigenen Worten „alte Schlachtross in der Politik“ – Viktor Orban seinen Hang zur pragmatischen Wende zum richtigen Zeitpunkt: Er stimmte ebenfalls „aus freien Stücken“ für die Fidesz-Suspendierung. „Die EVP hat eine gute Entscheidung getroffen, weil sie die Einheit bewahrt hat“, sagte der ungarische Regierungschef.
Dabei hatten die Töne aus Budapest vor der entscheidenden EVP-Vorstandssitzung noch ganz anders geklungen. So hatte sein Regierungssprecher noch polternd gedroht: Orban werde die Fidesz selbst aus der EVP herausführen, wenn ihre Mitgliedschaft suspendiert werden sollte. Die wohl für das heimische Publikum in Ungarn gedachte Zauberformel Orbans lautete also: Fidesz sei nicht suspendiert worden, vielmehr habe man einen Kompromiss erzielt.
Experten-Kommission
Ein Weisenrat unter der Leitung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy soll nun entscheiden, wann und ob die Mitgliedsrechte der Fidesz wieder in Kraft gesetzt werden. Dieser Expertenkommission wird auch der frühere Kanzler Wolfgang Schüssel angehören. Der Weisenrat soll beobachten, ob die quasi „auf Bewährung“ gesetzte Fidesz die gestellten Bedingungen erfüllt – die reichen vom lückenlosen Nachweis über die korrekte Verwendung von EU-Geldern über die Rechtsstaatlichkeit bis hin zu absoluter Null-Toleranz gegenüber Antisemitismus.
Ein Ausschluss der Fidesz, wie ihn 13 EVP-Mitgliedsparteien verlangt hatten, ist damit vorerst vom Tisch. Selbst EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte dies gestern früh noch einmal gefordert. Er war zuletzt ins Visier einer feindlichen Anti-Brüssel-Plakatkampagne in Ungarn geraten. Vorbei die Zeiten, als Juncker seinen Parteifreund Viktor Orbán noch mit einem schelmischen „Hallo, Diktator“ begrüßt hatte. Bitterernst stellte Juncker am Mittwoch erneut klar: „Ich bin bereits seit zwei Jahren der Meinung, dass sich der rechtsnationale Regierungschef Viktor Orbán von den christdemokratischen Grundwerten der EVP entfernt. Wenn Orbán diese Werte aber nicht teilt, ist sein Platz außerhalb der EVP.“
So radikal aber wollte die Mehrheit der EVP-Delegierten gestern nicht gegen den ungarischen Regierungschef vorgehen. Mit einem Rauswurf der Ungarn wären der EVP, der bei den kommenden EU-Wahlen ohnehin schon schmerzhafte Stimmenverluste drohen, immerhin 12 Mandate der Fidesz-Abgeordneten verloren gegangen.
Angriffe gegen Brüssel
Doch an Strafmaßnahmen führte für die national-konservative Regierungspartei von Orbán dieses Mal kein Weg mehr vorbei, so viel stand schon vor der EVP-Vorstandssitzung im Europäischen Parlament fest. Zu heftig waren die unverblümten Angriffe Orbáns gegen Brüssel zuletzt ausgefallen. Und zu sehr bedrohte der selbst ernannte „illiberale Demokrat“ den inneren Zusammenhalt der ganzen EVP. Ihr Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Manfred Weber, kam schließlich unter massiven Druck. Alle Fragen des Wahlkampfes drehten sich bald nur noch um das ungarische enfant terrible in der EVP-Familie? Wann würde Weber endlich auf die Provokationen Orbans reagieren?
Die erste praktische Konsequenz der Suspendierung sei, dass Orban bereits heute nicht mehr am EVP-Spitzentreffen vor dem EU-Gipfel teilnehmen dürfe, sagte Weber. Fidesz habe auch keine Mitsprache mehr über die politische Richtung der EVP und könne keine Kandidaten mehr für politische Ämter in der Partei aufstellen.
Fidesz: Von Liberal zu National
Ursprünglich wurde die Fidesz („Ungarischer Bürgerbund“) Ende der 1980er von liberalen, regimekritischen Studenten in Budapest gegründet. Die Bewegung, in der Viktor Orbán schon damals eine führende Position innehatte, trug maßgeblich zum Ende des kommunistischen Regimes 1989 bei. Nach Jahren in der Opposition bildete die FIDESZ 1998 eine Regierung mit Orban als Ministerpräsidenten.