Politik/Ausland

Corona-Hilfe: "Kurz bekämpft etwas, das Merkel und Macron nicht fordern"

KURIER: Angela Merkel und Emmanuel Macron haben den Vorstoß gemacht, den Ländern in Europa, die das Coronavirus am stärksten traf, mit zusätzlichen 500 Milliarden Euro zu helfen. Die EU-Kommission soll dafür im Namen der EU Kredite aufnehmen dürfen, und es soll Zuschüsse für bedürftige Regionen geben, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Kanzler Sebastian Kurz sagt nun wie die Regierungschefs von Holland, Schweden und Dänemark, er wolle ausschließlich Kredite, die zurückgezahlt werden müssen, und keine "Schuldenunion".

Philipp Heimberger: Kurz bekämpft hier etwas, das Merkel und Macron überhaupt nicht fordern. Ihr Vorschlag ist temporär, Merkel und Macron wollen eine Aufstockung des EU-Budgets für drei Jahre. Die zusätzlichen EU-Gelder wären außerdem klar zweckbestimmt - für Regionen und Sektoren, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. In anderen Worten: Der deutsch-französische Vorschlag beinhaltet keine gesamtschuldnerische Haftung einzelner Mitgliedstaaten und keine permanenten Transfers - und damit auch keine "Schuldenunion". Ein Menetekel, das Kurz aber an die Wand malt. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum der Kanzler mit dem Kampfbegriff operiert. Eine "Schuldenunion" will Merkel auch nicht, diese ist in der CDU nicht mehrheitsfähig.

Wie sehen Sie den Vorschlag der selbsternannten "sparsamen vier" im Vergleich zur Merkel-Macron-Initiative?

Die "sparsamen vier" wollen im Rahmen des Wiederaufbaufonds nur zurückzuzahlende Kredite. Dies würde natürlich die Staatsschuldenquoten in Italien und anderen Ländern in die Höhe treiben und zu Folgeproblemen führen.

Warum?

Wenn die Zinsen auf italienische Staatsanleihen steigen, kommt Italien unter Druck, und dies führt zur Destabilisierung des Eurosystems auf Kosten aller Mitgliedstaaten. Was will hingegen das deutsch-französische Papier? Die EU-Kommission würde Anleihen im Namen der EU begeben. Als Basis geben die Mitgliedsstaaten dafür Garantien ab. Dies tun die Staaten mit ihren künftigen EU-Beiträgen. Es gibt außerdem eine klare Rechtsgrundlage zur Umsetzung des deutsch-französischen Vorschlags in den EU-Verträgen, es wird also nichts "über die Hintertür eingeführt", wie immer wieder behauptet wird.

Der deutsche Außenpolitiker Norbert Röttgen von der ÖVP-Schwesterpartei CDU sieht in Österreichs Vorstoß sogar "eine reine Provokation", weil dieser das Problem der ohnehin hohen Verschuldung in Italien und anderen Ländern nur verschärfen würde.

Ja, das kann man so sehen. Es ist unlogisch, wenn die österreichische Regierung kritisiert, die Staatsschulden in Italien seien zu hoch, und gleichzeitig den deutsch-französischen Vorschlag ablehnt, mit dem man die Schuldenquoten verringern würde. Das Beharren auf ausschließlich zurückzuzahlenden Krediten ist ein sicheres Rezept für höhere Staatsschuldenquoten in Italien und Spanien.

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Sie sagen, auch Nettozahler wie Österreich würden vom Merkel-Macron-Plan profitieren. Warum?

Merkel und Macron zielen darauf ab, dass die Union eine breite Erholung erlebt, also in möglichst vielen Ländern. In den vergangenen Wochen haben wir gesehen, dass Italien und Spanien - obwohl stärker von der Pandemie betroffen - budgetpolitisch weniger darauf reagieren konnten. Das heißt, sie können weniger medizinische und wirtschaftliche Hilfe leisten, weil sie wegen ihrer Schulden weniger Spielraum haben. Neben der nötigen Hilfe für Italien und Spanien gibt es aber auch starke Verlinkungen in Industrie und Handel. Österreich würde massiv darunter leiden, wenn die italienische Industrie nicht mehr auf die Beine kommt. Das bedeutet: Österreich würde mit der Unterstützung von Merkel und Macron nicht nur solidarisch, sondern auch im langfristigen Eigeninteresse handeln.

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Das sehen Sie im Gegenvorschlag von Österreich und Co. vernachlässigt?

Ja, die österreichische Position ist sehr kurzsichtig. Sie vernachlässigt, wie wichtig die EU-Partnerländer für unsere Wirtschaft sind. Und der Vorstoß der Regierung berücksichtigt zu wenig, was es mittel- und langfristig für die politischen Beziehungen bedeutet, wenn wir Italien und Spanien jetzt im Regen stehen lassen, nur weil die Position vielleicht bestimmten Wählergruppen gut gefällt.

Zur Person: Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) in Linz. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fiskalpolitik und Makroökonomie in der Europäischen Union.

Die deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas