Politik/Ausland

Abschiebungen als Rezept gegen Ratlosigkeit: EU streitet um Antworten auf Migration

Dem Bundeskanzler war die Genugtuung regelrecht anzusehen. So lange habe man Österreich „skeptisch angeschaut und an den Rand gedrängt“, wenn man bei den EU-Partnern auf Lösungen für die Probleme mit der Migration gedrängt habe. Aber die „Hartnäckigkeit“ habe sich ausgezahlt.

Neues Gesetz für Abschiebungen

Was Karl Nehammer auf diesem EU-Gipfel in Brüssel so optimistisch stimmte, war nicht nur die Tatsache, dass Migration – wieder einmal – Kernthema war, sondern auch der Vorschlag, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den 27 Regierungschefs quasi auf den Verhandlungstisch gelegt hatte: Ein neues EU-Gesetz für die beschleunigte Rückführung abgelehnter und vor allem straffällig gewordener Asylwerber.

Abschiebung nicht ausgeführt

Die Messerattacke im deutschen Solingen im August, hat zuerst Deutschland und dann die ganze EU aufgeschreckt. Der Mann der drei Menschen ermordete war ein Asylwerber aus Syrien, dessen Antrag längst abgelehnt worden war. Die Abschiebung aber, zumindest nach Bulgarien, jenem Land, in dem er die EU betreten hatte, war nicht ausgeführt worden.

Politischer Druck

Das soll jetzt anders werden, zumindest nach den Wortmeldungen der meisten EU-Regierungschefs bei diesem Gipfel. Die Dringlichkeit aber ist nicht nur Attacken wie jener in Solingen geschuldet, sondern auch dem politischen Druck von rechts. Nicht nur in Österreich feiern Rechtspopulisten wie FPÖ Wahlerfolge, auch mit dem Dauerthema Migration.

In vielen EU-Staaten stürzen sich die Regierungen in einen hastigen Aktivismus. Das dramatischste Beispiel liefert Polen, wo Regierungschef Donald Tusk sogar das in den EU-Verträgen verankerte Asylrecht aussetzen will. Der Liberale beruft sich dabei vor allem auf die Bedrohung durch Asylwerber, die vom Nachbarland und Russland-Satelliten Weißrussland gezielt an der Grenze zu Polen ausgesetzt werden. Doch in Polen wird auch im nächsten Jahr ein neuer Präsident gewählt. Die rechtskonservative PiS, die Tusk erst im Vorjahr an der Regierung abgelöst hat, macht Stimmung gegen Europas Migrationspolitik, die Polen bevormunden und benachteiligen würde. Der EU-Gipfel aber stärkte dem Bürgerlichen Tusk demonstrativ den Rücken. Nehammer sprach von "großer Solidarität mit Tusk".

Jedem sein Alleingang

Die politische Propaganda richtet sich dabei vor allem gegen den Asyl- und Migrationspakt der EU. Nach jahrelangen Verhandlungen hat man den heuer endlich zu Papier gebracht und beschlossen. Doch der mühsam erzielte Kompromiss ist erstens noch meilenweit von einer praktischen Umsetzung entfernt und zweitens den einen zu unmenschlich und den anderen zu zahnlos. Ein EU-Staat nach dem anderen hat sich bereits davon distanziert. So wollen etwa die Niederlande gar nicht mehr mitmachen, Dänemark hat freizügig Ausnahmen geplant und Ungarn ist ohnehin grundsätzlich gegen alles, das aus Brüssel kommt

Offiziell will sich davon niemand irritieren lassen. Der Asylpakt sei Gesetz und werde deshalb umgesetzt, ist etwa von Spitzenvertretern der EU-Kommission, aber auch von der Europäischen Volkspartei, mit großem Abstand stärkste Fraktion im EU-Parlament, zu hören. Wer sich bei der Umsetzung sträube, droht man in der Kommission, werde mit Konsequenzen zu rechnen haben.

Beim EU-Gipfel jedenfalls war zu merken, dass die einzelnen Staaten wieder damit liebäugeln, ihren eigenen Weg bei der Migration zu gehen. Mit großer politischer Geste vorgeführt hat das Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. Das von ihr initiierte Aufnahmezentrum für abgelehnte Asylwerber in Albanien, ist zwar ein mit den anderen EU-Staaten nicht abgestimmter Alleingang. Trotzdem holt sich Meloni dafür von vielen Regierungskollegen Applaus ab, so auch von Österreichs Bundeskanzler. Ein ähnliches Modell für Österreich alleine peilt Nehammer nicht an: Gemeinsam mit anderen aber sei „diese alte österreichische Forderung durchaus umsetzbar“.

Diese Abschiebung in sogenannte „Drittstaaten“ verstößt zwar in vielen Fällen gegen EU-Recht, wird aber bei diesem Gipfel von vielen als Modellfall gehandelt. Spaniens Regierungschefs Pedro Sanchez bleibt mit seiner offenen Kritik an diesen Aufnahmezentren außerhalb der EU in der Minderheit.

Die gemeinsame Linie aber, um die man beim Asyl- und Migrationspakt so hart gerungen hatte, hat sich bei diesem Gipfel merklich aufgeweicht. Schon der Streit um jede einzelne Formulierung zur Migration bei diesem Gipfel macht klar, wie weit man in der EU in dieser Frage wieder auseinander rückt. Den Pakt, so meinte etwa ein polnischer Diplomat am Rande, den habe man ohnehin nicht unterschrieben.