EU-Gipfel einigt sich auf Budget bis 2020
Der deutsche Wahlkampf ist längst in Brüssel angekommen. Vor dem EU-Gipfel über Jugendarbeitslosigkeit setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel die EU-Spitzen unter Druck, sich auf das mehrjährige EU-Budget zu einigen. Seit Monaten wurde über die Summe von 997 Milliarden Euro (inklusive Sondertöpfe) für die Jahre 2014 bis 2020 gestritten. Kurz vor Gipfelbeginn schien die Last-minute-Lösung zwischen EU-Parlament, irischer Ratspräsidentschaft und Kommission bereits gelungen. Die Einigung wurde von allen Seiten begrüßt.
Doch in der Nachtsitzung der Staats- und Regierungschefs wackelte der Deal plötzlich wieder: Es ging – wie schon so oft – um den Briten-Rabatt. Diese Ermäßigung bekommt der Nettozahler Großbritannien seit 1985.
Durch vereinbarte Umschichtungen im EU-Budget (mehr Möglichkeiten, Summen auf verschiedene Bereiche zu verschieben) fürchteten einige Mitgliedsländer, mehr für das Budget zu zahlen. Frankreich und Italien dürften daher versucht haben, den Briten einen Teil der Rechnung aufzubrummen – und eine Neu-Berechnung des Rabatts ins Spiel zu bringen. Großbritannien drohte ein Verlust von 350 Millionen Euro pro Jahr, gegen den sich Premier David Cameron stemmte. Er pochte auf einen früheren Beschluss zur Formel der Rabatt-Berechnung.
Die endgültige Einigung kam dann lange nach Mitternacht zustande. Der Briten-Rabatt bleibt unverändert, wie das beim EU-Gipfel im Februar bereits beschlossen worden war. „Eine Einigung gibt uns Sicherheit für Investitionen für mehr Arbeitsplätze“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann dem KURIER.
Jugendarbeitslosigkeit
Sechs Milliarden Euro sind im EU-Haushalt 2014-2020 für Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorgesehen. „Bei sechs Millionen Arbeitslosen müssen wir noch mehr investieren.“ „Zu wenig“, sagt Faymann, „sechs Milliarden sollten es jährlich sein“. Der Kanzler will massiv Geld in Jugendbeschäftigung pumpen, um den jungen Arbeitslosen eine Perspektive zu geben. Diese Zahlen hat es in der EU noch nie gegeben: In Griechenland und Spanien waren zuletzt knapp 60 Prozent der 15- bis 25-Jährigen ohne Job.
Vorbild Österreich
Trotz des Budgetstreits war für Österreich gestern ein großer Tag. Auf internationalen Fernsehstationen wurden Reportagen über das Modell der Jugendbeschäftigungsgarantie gezeigt, in der Gipfel-Erklärung wird auf Österreich verwiesen, und wenn die EU jetzt Gelder an die Regierungen – vor allem jener der Krisenländer – vergibt, sind sie strikt an die Einführung der Jugendgarantie gebunden. Länder müssen Ausbildungsplätze schaffen, wo Jugendliche einen Beruf erlernen können. In Österreich gibt es dieses System schon seit dem Jahr 2008.
Noch ein Lob konnte Österreich verbuchen: In der jüngsten Wirtschaftsstatistik der EU ist Österreich vom fünften auf den 2. Platz vorgerückt.
Nicht alle Mitglieder wollen riesige Summen in die Jugendbeschäftigung stecken. Merkel ist gespalten: Im Wahlkampf kann sie nicht auf die Bremse steigen, gleichzeitig warnte sie in Brüssel, die Regierungen mögen nicht nur nach EU-Geldtöpfen schielen. Mehr Wettbewerb, Sparen und nationale Anstrengungen seien nötig.
Ähnlich sehen es auch Großbritannien, Schweden und die Niederlande. Letztere wollen im Verbund mit den Briten weitere Integrationsschritte stoppen oder schon Erreichtes zurückdrehen.
Schulterschluss
Wie ernst es den EU-Granden ist, mehr für die wirtschaftliche Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu tun, zeigt, dass zum Auftakt des Gipfels die europäischen Sozialpartner, die Präsidenten der EZB und der Europäischen Investitionsbank (EIB) eingeladen waren, Sozialpartnerschaft auf europäischer Ebene. Von der EIB erwartet man sich günstige Kredite für kleinere und mittlere Unternehmen.
EU-Haushalt 2014–2020: 997 Milliarden
Rahmen Das gemeinsame Budget für die Jahre 2014 bis 2020 umfasst 997 Mrd. Euro an Zahlungsver- pflichtungen plus Sondertöpfe. Größte Brocken sind die Beträge für Regional und Agrarpolitik mit je rund einem Drittel des Budgets.
Flexibilität Das Parlament hat durchgesetzt, dass das Budget 2016 überprüft wird. Geld, das übrig bleibt, fließt nicht mehr an die Staaten zurück, sondern wird umgeschichtet – etwa für Initiativen zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit.
Jüngster Streitpunkt in dem jahrelangen Feilschen um die langfristige EU-Finanzplanung von 2014 bis 2020 ist - wieder einmal - der Briten-Rabatt. 2012 machte der UK-Rabatt geschätzte vier Milliarden Euro aus, 2011 waren es 3,6 Milliarden Euro, 2001 erreichte der Briten-Rabatt sogar 7,3 Milliarden Euro.
Nach dem jüngsten Finanzbericht der EU-Kommission belief sich die jährliche Reduktion für das Vereinigte Königreich 2011 auf exakt 3,5959 Milliarden Euro. Am stärksten finanzierte Frankreich mit 965,9 Millionen Euro diesen Rabatt mit. Weil Österreich einen Rabatt auf den Rabatt genoss, kam es mit 24 Millionen Euro vergleichsweise glimpflich weg.
"I want my money back"
Der Briten-Rabatt wurde 1984 beim Europäischen Rat von Fontainebleau vereinbart, im Gedächtnis blieb dabei die Aussage der damaligen Premierministerin Margret Thatcher: "I want my money back." Ihr Argument lautete, Großbritannien sei eines der ärmsten EU-Länder, profitiere aber wegen der gering ausgeprägten Landwirtschaft weniger als Frankreich von den Agrarförderungen und erhalte keine Strukturhilfen. Der Rabatt ist so angelegt, dass er mit steigendem EU-Budget, also etwa infolge der EU-Erweiterung, ebenfalls nach oben geht.
Großbritannien bekommt daher 66 Prozent der Differenz zwischen seinem Mehrwertsteuer- und BNE-(Bruttonationaleinkommen) Eigenmittelanteil und seinem Rückflussanteil zurückerstattet. Der Korrekturbetrag, der sich daraus ergibt, reduziert den UK-Beitrag zur Finanzierung des EU-Budgets.
Der britische Premier David Cameron verhandelte beim EU-Gipfel im Februar erfolgreich eine Beibehaltung des Briten-Rabattes. Frankreich und Italien argumentieren nunmehr, dass sich die Berechnungsgrundlage eigentlich ändern müsste, weil Garantien für die Agrarzahlungen an die seit 2004 beigetretenen EU-Staaten wegfallen. Ändert sich die Berechnungsgrundlage, würde dies den Briten-Rabatt um rund 10 Prozent schmälern. Die Rede ist laut Diplomaten von rund 300 Mio. Pfund (353,69 Mio. Euro).
Die Forderung Frankreichs und Italiens könnte durch die Donnerstagfrüh vom Europaparlament durchgesetzte flexiblere Nutzung nicht ausgeschöpfter Mittel im EU-Budget Auftrieb bekommen haben. Dadurch müssten die EU-Staaten nämlich potenziell mehr als bisher ins Budget einzahlen, wenn die Obergrenzen im EU-Finanzrahmen strikt ausgenützt werden und keine übrig gebliebenen Gelder an die Staaten zurückfließen. Dies würde die Defizitprobleme einiger EU-Staaten verschärfen, vor allem wenn sie bisher weiter von Rückzahlungen ins nationale EU-Budget ausgingen.
Österreichs Rabatt
Österreich profitierte seit 1999 - neben Deutschland, Schweden und den Niederlanden - von einem reduzierten Beitrag am Briten-Rabatt, für den wiederum die restlichen 22 EU-Staaten aufkommen müssen. Auch in der nächsten Finanzperiode bleibt der jährliche österreichische Rabatt auf den sogenannten Briten-Rabatt in Höhe von 95 Millionen Euro im Jahr (in Preisen von 2011).
Portugal hat am Donnerstag zusätzliche 2,1 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsfonds EFSF erhalten. EFSF-Chef Klaus Regling sagte, da das Hilfsprogramm für Portugal langsam seine finale Phase erreiche, sei es vorrangig, dass das Euroland sein Reformtempo beibehalte, um zu einem erfolgreichen Ausstieg aus dem Hilfsprogramm von bisher 21,1 Milliarden Euro zu kommen. Genau die Sparpolitik der Mitte-Rechts-Regierung von Pedro Passos Coelho war gestern Anlass für einen weiteren Generalstreik, der das öffentliche Leben in dem südeuropäischen Land weitgehend lahmlegte.
Der konservative lettische Premier Valdis Dombrovskis will der EU den Weg aus der Krise zeigen: mehr Wettbewerb, radikale Reformen, Bürokratie-Abbau und stabile Finanzen.
KURIER: Herr Ministerpräsident, sehen Sie einen Mangel an Reformwillen in den EU-Staaten?
Valdis Dombrovskis: Das ist so. Wir müssen den Wettbewerb erhöhen und das Potenzial des Binnenmarktes nützen. Nicht nur für Waren, sondern für Dienstleistungen, wir brauchen den digitalen Binnenmarkt. Die Arbeitsmärkte sind nicht effizient, wir brauchen mehr Geld für Forschung, die Ergebnisse müssen dann direkt der Wirtschaft zugute kommen.
Was bringen die Freihandelsabkommen der EU mit den USA und mit Japan?
Die Initiative ist ausgezeichnet. Das bringt rund 0,5 Prozent Wachstum. Der Binnenmarkt für Dienstleistungen würden 2,6 Prozent Wachstum bringen. Die digitale Zusammenarbeit ein Prozent Wachstum.
Hunderttausend sehr gut ausgebildete Letten haben zwischen 2009 und 2011 ihre Heimat verlassen. Wie gefährlich ist der Braindrain?
Das ist unsere größte Herausforderung. Das Wirtschaftswachstum, höhere Löhne und mehr Jobs haben den Prozess nun gestoppt. Nur mit guter Wirtschaft bekommt man die Auswanderung in den Griff. 2012 hatten wir 5,5 Prozent Wachstum. Für 2013 sind 3,6 bis vier Prozent prognostiziert.
Im Jahr 2008 stand Lettland vor der Pleite. Mit einem rigiden Sparprogramm haben haben Sie das Land dann aber Euro-fit gemacht. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Sparen. Finanzstabilität ist die Voraussetzung für Wachstum. Zweitens haben wir EU-Förderungen maximal genützt, das war ein Stimulus für die Wirtschaft. Bürokratie wurde abgebaut und eine Exportoffensive gestartet. Trotz Sparens gab es soziale Hilfen.
Was konkret?
Vor der Krise gab es eine Arbeitslosenunterstützung für drei bis neun Monate. Jetzt gibt es neun Monate für alle. Die Gesundheitsversorgung für Arme wurde verbessert. Der Mindestlohn wurde erhöht, ab Jänner 2014 gibt es eine Erhöhung auf 320 Euro.
Lettland wird Anfang 2014 Euro-Mitglied. Viele Letten sehen den Euro aber skeptisch. Warum?
Das wundert mich nicht, wenn man bedenkt, was die Menschen über die Krise in der Eurozone gehört haben. Wir müssen ihnen die Krise erklären und sagen, was der Euro bringt: Keine Wechselgebühren, geringere Zinsen, mehr Investitionen. Es läuft eine Info-Kampagne. Die Mehrheit wird den Euro akzeptieren. Manche haben vor den praktischen Dingen der Umstellung Angst.
Wie wird die Umstellung?
Es wird zwei Wochen die nationale Währung Lats und den Euro geben. Alles andere wäre ein Bürde für die Geschäfte.
Rund ein Drittel Russen leben in Lettland. Wie sind die Beziehungen zu Russland?
Wirtschaftlich sehr gut. Der Handel ist 2012 um 25 Prozent gestiegen, auch der Tourismus. Unter Putin ist Russland aggressiver gegenüber dem Westen geworden. Die Beziehungen zum Westen verschlechtern sich.