Syrien: "Assad hat auf Dauer die besten Karten"
Von Walter Friedl
Vor sechseinhalb Jahren zogen die Regierungstruppen ab, doch seit Freitag weht in der Kurdenhochburg Manbidsch wieder die syrische Flagge. In äußerster Bedrängnis hatte die Volksgruppe den Damaszener Machthaber Bashar al-Assad um Hilfe gerufen. Der schickte aus Eigeninteresse prompt seine Soldaten – womit sich die Lage in dieser Region zuspitzt. Denn nach dem angekündigten US-Abzug aus dem Gebiet hat die Türkei Verbände an der Grenze zusammengezogen und bereitet sich mit verbündeten syrischen Milizen auf eine Offensive in Syrien vor.
„Es hat ein Wettlauf zwischen Ankara und Damaskus um die Vorherrschaft in der Kurdenregion östlich des Euphrats eingesetzt“, sagt Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der österreichischen Landesverteidigungsakademie, zum KURIER. Eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Türkei und Syrien hält der Experte derzeit aber für wenig wahrscheinlich, „das würde Russland zu verhindern wissen“. Er geht eher von Stellvertreter-Schlachten zwischen kurdischen Einheiten und Türkei-treuen Kräften aus.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolge mit seiner Syrien-Politik zwei Ziele, so Feichtinger: keine starke, staatsähnliche Autonomie vor der Haustüre, weil diese Vorbildwirkung für die eigenen Kurden haben könnte, und keine kurdischen Milizionäre an der Grenze. Um das zu erreichen – in Ankara spricht man von einem Anti-Terror-Kampf – habe Erdoğan sein ursprüngliches Ziel, Assad zu stürzen, „hintangehalten“, analysiert der Brigadier. Der syrische Präsident wiederum habe nie Zweifel daran gelassen, das gesamte Territorium wieder kontrollieren zu wollen. Die jetzige, nach der US-Entscheidung entstandene „neue politische Landschaft“ wolle er daher für seine Zwecke nützen.
"Assad hat die besten Karten"
„Auf Dauer hat Assad“, erläutert Feichtinger, „die besten Karten – mit russischer Unterstützung“. Der Militär-Analytiker könnte sich sogar einen Deal zwischen Damaskus und Ankara vorstellen: „Wenn Syrien eine Pufferzone an der Grenze kontrolliert und garantiert, dass keine kurdischen Kämpfer an der Grenze stationiert sind, hätten ja beide Seiten ihre strategischen Ziele erreicht.“
Und die syrischen Kurden, die zuvor eine Art Proto-Staat errichtet hatten und von den USA als Speerspitze gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) unterstützt worden waren? „Die wurden von den USA schlicht fallengelassen, manche sagen auch verraten“, betont der österreichische Experte. Künftig würden sie bestenfalls eine Autonomie auf unterster Ebene haben, nicht vergleichbar mit der Zeit davor.
IS "lachender Dritter"
Gewinner der „neuen Dynamik“ könnte der IS sein, so Feichtinger: „Er könnte der lachende Dritte sein, weil Kurden-Kämpfer, die bis jetzt an der IS-Front gebunden waren, zur Verteidigung des Kernlandes verlegt werden. Das könnte den Dschihadisten eine Atempause verschaffen.“ Das habe man schon zu Beginn des Jahres beobachten können, als die Türkei in die nordsyrische Region Afrin eindrang. Damals seien kurdische Milizionäre von ihrem Anti-IS-Einsatz abgezogen worden, um sich Erdoğans Truppen in den Weg zu stellen, das habe dem IS Auftrieb gegeben.