Politik/Ausland

Diplomatenausweisungen: Eiszeit zwischen Russland und Westen?

Nach dem Giftanschlag auf einen russischen Ex-Spion in London ist die Welt der Diplomatie in Aufruhr. Großbritannien macht, unterstützt von vielen anderen westlichen Regierungen, den russischen Staat dafür verantwortlich. Die Regierung in London wies vergangene Woche 23 russische Diplomaten aus. Russland bestreitet eine Verantwortung für den Anschlag und reagierte mit derselben Maßnahme. Am Montag wuchs sich das zu einem größeren Phänomen aus. Die USA, als britischer Verbündeter, wiesen ebenfalls 60 Personen aus (Russland will gleichermaßen antworten). Am Montag reagierten auch 17 EU-Staaten, darunter Deutschland, mit Ausweisungen. Die EU selbst rief schon am Wochenende zum ersten Mal überhaupt aus Moskau einen Botschafter zu Konsultationen zurück.

Was bedeutet dieser Konflikt? Die Ausweisung von Diplomaten ist erst einmal ein uraltes Instrument. Neben anderen Maßnahmen ist es völkerrechtlich seit 1961 in der Wiener UN-Konvention über diplomatische Beziehungen geregelt. Für Emil Brix, den Leiter der Diplomatischen Akademie in Wien, ist es nicht nur ein “relativ gelindes Mittel”, mit dem ein Staat seine Unzufriedenheit gegenüber dem Tun eines anderen ausdrückt, sondern gar “ein positives Element” des Völkerrechts.

"Gelindes Mittel"

Die stufenweise und formalisierte Vorgehensweise der Diplomatie helfe, dass es eben nicht rasch zu schärferen und damit auch gefährlicheren Mitteln komme: Dazu würden unter anderem Einreiseverbote für Führungspersönlichkeiten, Wirtschafts- und Finanzsanktionen oder der Abbruch diplomatischer Beziehungen zählen. Es gehe bei Ausweisungen auch darum, “einen politischen Konflikt eben nicht eskalieren zu lassen”.

Dass man dafür in einem ersten Schritt genau jenes Personal zurückzieht, das in der öffentlichen Wahrnehmung den Dialog aufrecht erhalten soll, wirkt auf den ersten Blick vielleicht seltsam. “Das ist richtig, aber Diplomaten ausweisen ist besser als militärisches Werkzeug aufmarschieren zu lassen”, erklärt Brix.

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Betroffene meist unter konkretem Verdacht

Zudem betrifft so eine Maßnahme aber auch nicht wahllose Personen, sondern konkrete Menschen. Brix, der sowohl österreichischer Botschafter in London als auch in Moskau war, sagt es durch die Blume: “Vor allem bei Großstaaten gibt es Personen in diplomatischen Vertretungen, wo nicht ganz klar ist, welche Funktionen sie dort wirklich ausüben.” Die ursprünglichen 23 Diplomaten seien den britischen Behörden wahrscheinlich bei “nicht üblichen diplomatischen Tätigkeiten” aufgefallen.

Historiker Siegfried Beer tut sich etwas leichter darin, das klarer zu benennen. “Man kann davon ausgehen, dass sie hauptsächlich geheimdienstlich unterwegs waren”, sagt er. Jedenfalls seien es keine hohen Vertreter und nicht die, die den politischen Dialog aufrecht erhalten. Geheimdienstler in diplomatischen Vertretungen, das gehöre bei Großstaaten irgendwie dazu: “Die spielen solche Spiele nicht ungern”. Oft sei die Größe einer Botschaft ein Hinweis darauf, wo besonders viel Geheimdienstarbeit verrichtet werde. Deshalb seien etwa die Vertretungen in Wien auch oft ungewöhnlich groß, obwohl Österreich selbst als Land eher unbedeutend sei. Wien gilt seit langem als eine Drehscheibe der Geheimdienste.

An diplomatische Missionen angehängte Agenten würden einige Zeit im Land akzeptiert. Auch “weil das Usus ist”, meint Beer. Sie würden auch observiert, um etwas über ihre Arbeit zu lernen, und dann erst bei Krisen oder anderen Gelegenheiten in Gruppen ausgewiesen. Oft geschehe das ohne Öffentlichkeit, oder durch eine vorbeugende Ausreise von Personen, die wissen, dass sie verdächtig sind. Österreich selbst etwa würde das traditionell eher im Stillen praktizieren, sagt Beer. Brix kann sich nicht an konkrete Beispiele erinnern, weiß nur, dass gelegentlich der ein oder andere fremde Diplomat in Österreich gar nicht erst zugelassen wurde.

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Ohne Effekt

Die ausgewiesenen Personen werden dann eben nach und nach ersetzt, sagt Geheimdienstexperte Beer. Zu einer Verhaltensänderung beim anderen Staat führe die Ausweisung von Diplomaten im Allgemeinen nicht - ein Beispiel dafür fiel im KURIER-Gespräch weder Brix noch Beer ein. Es gehe erst einmal um öffentlichkeitswirksame Symbolpolitik - sich vielleicht ein bisschen, aber nicht zu sehr weh zu tun.

Natürlich ist es ungewöhnlich und besorgniserregend, wenn Russland, Europa und die USA sich gegenseitig unfreundliche Symbole senden. Wohl nicht umsonst sind auch Ausweisungen vor allem im Kalten Krieg häufig passiert. Zwischen Russland und dem Westen beginnt der Konflikt aber ja nicht mit dem aktuellen Thema. Es spießt sich seit Jahren - etwa in der Ukraine und in Syrien, oder auch im Konflikt um Propagandamedien. 

Für Beer ist bei den Ausweisungen aber vorerst noch viel Theaterdonner dabei. “Es ist Public Relations, Drohen, Stimmung - aber man tut sich nicht unheimlich weh”, sagt der auf Geheimdienste spezialisierte Historiker. Es gibt bereits Sanktionen schärferer Art mit denen verglichen Ausweisungen eher harmlos sind. “Das kann natürlich weiter eskalieren”, sagt Beer. Großbritannien habe ja schon laut über weitergehende wirtschaftliche Sanktionen nachgedacht.

Damit die Konfliktparteien aus dieser Konfrontation wieder herauszufinden, müsse man erst im politischen Dialog wieder Vertrauen aufbauen, sagt Brix. Das geht nicht von heute auf morgen: “Man braucht eine gewisse Zeit, um das Gespräch wieder zu intensivieren.” Durch Ausweisungen werde der Prozess natürlich nicht einfacher gemacht. Aber Vertrauen zu schaffen, sei eine allgemeine Aufgabe der Diplomatie. Beer meint: “Die Diplomatie ist da, um im Gespräch zu bleiben. Nur wenn man total verfeindet ist - und meist nicht einmal dann - gibt es eine totale Sperre der diplomatischen Ebene.”