Politik/Ausland

Deutsche Linke wählt neue Führung und will erstmals mitregieren

Sie stellt in Thüringen einen Ministerpräsidenten, ist in allen Landtagen vertreten und regiert in Berlin, Bremen und Thüringen mit – doch im Bund sitzt die Linke seit 31 Jahren in der Opposition. Das könnte sich nach der Bundestagswahl im Herbst ändern – wenn es nach Susanne Hennig-Wellsow geht.

Die 43-Jährige managt in Thüringen die Regierungspartei und wurde bekannt, weil sie dem von AfD- und CDU gewählten Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen hatte. Nun hat sie beste Chancen, am heutigen Parteitag zur neuen Vorsitzenden gewählt zu werden. Mit einem Ziel: mitregieren – am liebsten mit Grünen und SPD. Sie stehe für eine „radikale Realpolitik“, sagte sie und nannte Klimapolitik und Bürgerversicherung als gemeinsame Themen. Ihre Erfahrung aus Thüringen, wo seit 2014 Bodo Ramelow regiert, will sie mit nach Berlin nehmen.

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Dass die Linke auch dort in der Regierung sein könnte, zeichnet sich in Umfragen derzeit nicht ab – es gibt keine Mehrheit. Die Linke steht zwischen sechs und acht, die SPD bei 15 und die Grünen bei 17 Prozent. Was die Parteichefin in spe aber nicht für gesetzt hält. „Das Parteiensystem ist sehr volatil“, sagte sie und verwies auf den Rückzug der Kanzlerin – der zu Wählerwanderung führen könnte.

Neben arithmetischen Fragen stellen sich auch grundsätzliche. So sieht der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Opelland „keine strategische Vorbereitung“ auf das Dreierbündnis. „Die Grünen tendieren stark zur Mitte, alle reden von Schwarz-Grün, was sehr wahrscheinlich ist, sollten die Mehrheitsverhältnisse nicht anders sein.“ Bei der SPD, sagt er, gäbe es dann Anlass, nachzudenken. 2013 hätte sie die Möglichkeit gehabt, mit Grünen und Linken zu regieren, sich aber für die Große Koalition entschieden. Würde sie das erneut tun, verlöre sie „endgültig ihre Wiedererkennbarkeit und ihr Profil“.

Linke Problemzonen

Allerdings haben die Sozialdemokraten so ihre Probleme mit der Linken und sehen diese nicht als regierungsfähig, etwa bei Fragen zu Bundeswehreinsätzen und Rüstungsexporten. Auch außenpolitisch fallen einige Linken-Politiker oft mit Putin-freundlichen Sagern auf oder machen sich stark für Nicolás Maduro, den die Bundesregierung nicht mehr als Venezuelas Staatschef anerkennt.

Ex-Fraktionschef Gregor Gysi, der die Linke gerne auf der Regierungsbank sehen möchte, ortet Verhandlungsspielraum („Wer nicht kompromissfähig ist, ist auch nicht demokratiefähig“) – und würde im Fall des Falles bei Militär- und Außenpolitik mitsondieren, wie er dem KURIER sagte.

Wie stehen eigentlich die Grünen zur Bündnis-Option? Sie fühlen sich im linken Lager wohl, gibt’s doch mit der Union absehbare Streitthemen wie Migration. In puncto Klimaschutz könnten sie mit ihr wiederum mehr erreichen. Als sie im Bundesrat darauf drängten, das Klimapaket der Regierung zu verschärfen, bremste die SPD.

Apropos. In der Linken ist die Frage einer Regierungsbeteiligung bei manchen nicht unumstritten. Susanne Hennig-Wellsow wird die Partei zudem in einer Doppelspitze mit Janine Wissler führen – Fraktionschefin in Hessen, und vom linken Flügel. Sie zog kürzlich beim Thema Auslandseinsätze eine rote Linie.