Politik/Ausland

Deutsche Koalitionsparteien: Zwischen Führungssuche und -krise

Jetzt ist es offiziell: Andrea Nahles, die im Juni zurückgetreten ist, wird am 1. November auch ihr Mandat im Bundestag ablegen. Die 49-Jährige plant nach Jahrzehnten in der Politik einen völligen Neustart. Die SPD wird dann vermutlich wissen, wer sie künftig anführt. 430.000 Mitglieder können bis 25. Oktober abstimmen; am 26. will man das Abstimmungsergebnis bekannt geben: Sollte keines der sechs Bewerberduos die 50-Prozentmarke knacken, gibt es eine Stichwahl zwischen Erst- und Zweitplatzierten Ende November.

Bisher haben sich aber noch keine klaren Favoriten herauskristallisiert. Sollte die Basis Olaf Scholz mit seiner Partnerin Klara Geywitz als Nahles-Nachfolger wählen, würde es mit der Koalition weitergehen. Scheitert der Vizekanzler- und Finanzminister, würde wohl ein Team übernehmen, das die Partei raus aus der Regierung steuern will – und das haben gleich mehrere Bewerber vor.

Stimmung „nicht besser“

Am Ende wird der Parteitag am 6. Dezember entscheiden. Beim letzten Mal stimmten gerade 56 Prozent für Verhandlungen: „Die Stimmung ist seither nicht besser geworden“, sagt Juso-Chef Kevin Kühnert. Sollte die Koalition gegen Ende des Jahres auseinandergehen, könnte eine Minderheitsregierung kommen, so Kühnert. Das habe damit zu tun, dass die Union ihre Führungsfrage nicht geklärt hat.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer steht wegen Pannen und schlechter Umfragewerte intern unter Druck. Die Junge Union brachte dies am Wochenende mit einem Antrag zum Ausdruck, der ihr offen das Misstrauen ausspricht: Sie fordern eine Urwahl des Kanzlerkandidaten – bisher hatte die Parteichefin das Erstzugriffsrecht. Auch wenn der Antrag beim Parteitag Ende November nicht durchgeht – Rückendeckung gab’s jetzt von CSU-Chef Markus Söder – wird alleine die Debatte die Stimmung weiter trüben.

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„Zermürbungstaktik“

Nahles hatte von derlei Attacken genug und zog die Konsequenzen. Was sich im Umgang mit ihr für die künftige SPD-Führung lernen lässt? „Andrea Nahles ist nicht auf offener Bühne abgelöst worden, weil man sie herausgefordert hätte, sondern mit Durchstechereien und einer Zermürbungstaktik, rausgeschossen worden“, sagt Kühnert zum KURIER. Nahles war bereit, Kritik auf sich zu ziehen, Themen wurden nicht vorgeschoben, sondern einfach entschieden, „damit hat sie sich Feinde gemacht“. Manchmal fand er es gut, manchmal nicht, so Kühnert. Generell sei er mit ihrem Stil aber zurechtgekommen.

Er fordert eine „Entspanntheit im inhaltlichen Streit“ – auch zur Koalitionsfrage-Frage, wo er eine Ungleichheit ortet. Während im Parteivorstand und in der Fraktion die meisten für das Bündnis sind, ist es in der Partei unter Mitgliedern hochumstritten. Das führte zu einer „Wagenburgmentalität“ im Sinne von „Wir gegen die Aufmüpfigen“.