Coronavirus: Mexiko droht Lateinamerikas Italien zu werden
Von Michael Hammerl
„Lebt wie immer“: Mit diesem Appell richtete sich Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador am 22. März an die mexikanische Bevölkerung – via Facebook-Video. Er saß während der Aufnahmen in einem Restaurant, vor einem verlockenden Schlemmermahl und gemahnte deshalb auch das Volk: “Wenn ihr die notwendigen Mittel habt, geht weiterhin mit eurer Familie hinaus und essen. Das stärkt unsere Wirtschaft.“ Der Präsident tourte bis vor Kurzem durch das Land, schüttelte Hände, umarmte Anhänger, küsste Kinder.
Mittlerweile hat auch López Obrador verstanden: Mexiko muss Maßnahmen setzen. „Wir wollen, dass sich jetzt alle zurückziehen, mit ihren Familien zu Hause sind, Distanz wahren und auf Hygiene achten“, sagte er am Samstag.
Nicht unbedingt benötigte Angestellte im öffentlichen Dienst müssen bis auf weiteres nicht zur Arbeit erscheinen. In dieser Woche wurden die Schulen in Mexiko geschlossen und Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmern verboten. Touristen-Hotspots begannen sich abzuriegeln, Strände wurden gesperrt. Mehrere europäische Reisende sitzen laut KURIER-Informationen etwa auf dem Surfer-Paradies Chacahua fest. Die Insel wurde größtenteils abgeriegelt.
Zu spät
Was die späte Reaktion der mexikanischen Regierung besonders verhängnisvoll macht: Sie hat Mexikos Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren bewusst geschröpft. Um die öffentlichen Ausgaben zu drosseln, reduzierte sie die Gelder für Spitaler und medizinische Zentren – und sparte so Millionen ein. Jetzt mangelt es in Mexiko an Ärzten, medizinischer Ausrüstung, Betten und natürlich auch an Coronavirus-Tests.
Mexiko sollte es eigentlich besser wissen. Immerhin war es 2009 das Ursprungsland einer anderen Pandemie: H1N1, besser bekannt unter der Bezeichnung Schweinegrippe. 17.000 Menschen starben daran weltweit. Mexiko konnte die Ausbreitung eindämmen, ging dabei hochwissenschaftlich vor, teste flächendeckend, ermittelte Cluster.
Beim Coronavirus fehlt davon jede Spur. Bislang haben sich offiziell 717 Menschen im Land mit dem Virus infiziert. Zwölf Patienten starben. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, deutlich höher.
Gravierende Folgen für Wirtschaft
Experten gehen davon aus, dass die aktuell in Mexiko getroffenen Maßnahmen viel zu lasch sind. „Hier wird es so schlimm wie in Italien, wenn nicht schlimmer“, sagte Dr. Francisco Moreno Sánchez, tätig in Mexico City, vergangenen Dienstag der New York Times.
Die Ratingagentrur Standard and Poor’s geht laut einer Analyse von Freitag davon aus, dass kein lateinamerikanischer Staat so lange brauchen wird, sich von den Nachwirkungen des Virus zu erholen, wie Mexiko. Ähnlich renommierte Institute - etwa Fitch Ratings - trafen dieselbe Einschätzung. Die Prognosen für die mexikanische Wirtschaft werden beinahe täglich nach unten korrigiert. Derzeit geht man davon aus, dass sie um etwa 3,5 Prozent schrumpfen dürfte.