Politik/Ausland

Trudeau: "CETA stärkt die Mittelklasse"

Bis zuletzt rissen die Pannen rund um das CETA-Abkommen nicht ab: Zuerst das tagelange Ringen um die Zustimmung des wallonischen Regionalparlaments zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen. Dann die technischen Probleme beim Flug von Premier Justin Trudeau nach Brüssel; schließlich kaputte Mikros am Sonntag bei der Pressekonferenz.

Am wenigsten entnervt ob all der Widrigkeiten zeigte sich Trudeau, er sprach überzeugend von einem "historischen Abkommen, das die Mittelklasse diesseits und jenseits des Atlantiks stärkt". Ist CETA nun einmal vorläufig in Kraft – und das dürfte nach der Ratifikation durch das Europäische Parlament Anfang 2017 der Fall sein – wird der Handel zwischen der EU und Kanada um ein Fünftel zulegen, prognostizieren Ökonomen. Die Zölle für Waren und Güter werden zu 99 Prozent wegfallen. Das dürfte der EU-Wirtschaft jährlich um zwölf Milliarden Euro ankurbeln, die kanadische Wirtschaft um acht Milliarden Euro.

Standards fixieren

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte nach der Unterzeichnung des Vertrages, dass mit dem CETA-Abkommen "Standards festgelegt werden, die andere akzeptieren müssen".

Die umstrittenen Schiedsgerichte wurden von Trudeau, Juncker und Ratspräsident Donald Tusk angesprochen. Die Schiedsgerichte wurden in den CETA-Verhandlungen reformiert, sollen transparent und von ordentlichen Richtern geführt werden. Für künftige Verträge ist eine Weiterentwicklung in Richtung eines multilateralen Handelsgerichts geplant.

Wie geht es nun weiter? CETA wird vorläufig in Kraft treten, über die Schiedsgerichte wird in allen nationalen und regionalen Parlamenten abgestimmt. Das kann Jahre dauern. Sollte sich ein Parlament querlegen, ist CETA nicht gestorben, sondern bleibt ohne Schiedsgerichte in Kraft.

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Der sozialliberale kanadische Ministerpräsident betonte, dass es "Aufgabe der Politik" sei, "den Menschen die Angst vor diesen Schiedsgerichten und auch vor dem Freihandel zu nehmen. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen".

Neustart für TTIP

Nach dem massiven Widerstand gegen das Handelsabkommen mit Kanada fordern einige EU-Staaten und auch NGO einen neuen Beginn der Verhandlungen mit den USA über TTIP. "Wir brauchen nach den US-Wahlen einen Neustart für das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA. Das Verhandlungsmandat braucht klarere Kanten", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn der Welt am Sonntag.

Ähnlich äußerte sich auch Österreichs Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner: "So wie bisher kann die europäische Handelspolitik nicht weitermachen. Daher müssen wir auch bei TTIP umdenken. Wir brauchen ein anderes Verhandlungsmandat."

Das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und CETA ist unter Dach und Fach. Vertreter der EU und Kanadas unterzeichneten am Sonntag den Vertrag in Brüssel.

Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und der slowakische Regierungschef Robert Fico, der die EU-Präsidentschaft innehat, setzten am Sonntag ihre Unterschriften unter das Vertragswerk, das Wachstum und Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlantiks fördern soll.

"Ende gut, alles gut", kommentierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Empfang des kanadischen Premierministers Justin Trudeau in Brüssel. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von einem guten Tag für die Europäische Union und für Kanada und sagte, CETA werde Standard für alle künftigen Abkommen sein. Nach dem tagelangen Drama um das CETA-Veto aus der belgischen Wallonie zeigten sich alle Beteiligten erleichtert, dass das Abkommen mit dreitägiger Verzögerung doch noch unterzeichnet werden konnte.

Ursprünglich war die Unterzeichnung bereits für Donnerstag vorgesehen, doch hatte der Widerstand der belgischen Region Wallonie Nachverhandlungen erforderlich gemacht.

Europaparlament muss nun zustimmen

Als nächster Schritt wird der Handelspakt nun dem Europaparlament zur Ratifizierung vorgelegt. Erst dann können die ausschließlich unter EU-Kompetenz fallenden Teile des Abkommens vorläufig in Kraft gesetzt werden. Damit das Abkommen komplett und dauerhaft in Kraft treten kann, müssen aber auch die nationalen Parlamente zustimmen. Eine Frist dafür gibt es nicht.

Den Bedenken der CETA-Kritiker soll mit Zusatzerklärungen und Garantien Rechnung getragen werden. So wird beispielsweise festgestellt, dass die Belgier existenzbedrohliche Konkurrenz für ihre Landwirte im Notfall über eine Schutzklausel abhalten können. Zudem soll der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aufgefordert werden, ein Gutachten zu den umstrittenen Regelungen zur Streitbeilegung zwischen Unternehmen und Staaten zu erstellen.

Mit dem Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) stellen die EU und Kanada ihre Wirtschaftsbeziehungen auf eine neue Basis. Durch den Wegfall von Zöllen und anderen Handelshemmnissen soll es auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wachstum geben. So ist unter anderem vorgesehen, Zugangsbeschränkungen bei öffentlichen Aufträgen zu beseitigen und Dienstleistungsmärkte zu öffnen.

Zu Kritik von CETA-Gegnern betont die EU, dass die europäischen Standards in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechte uneingeschränkt gewahrt werden. Das Abkommen stellt aus ihrer Sicht auch sicher, dass die wirtschaftlichen Vorteile nicht auf Kosten der Demokratie gehen.

Am Rande des EU-Kanada-Gipfels in Brüssel demonstrierten rund 250 CETA-Gegner. Nach Angaben der Polizei wurden 16 von ihnen vorläufig festgenommen, weil sie die Sicherheitsabsperrungen überwunden hatten. Einige warfen Farbbeutel gegen die Glasfassade des EU-Ratsgebäudes, in dem der Gipfel stattfand.