Politik/Ausland

Brüssels Geduld mit Rom geht zu Ende

Die verbalen Giftpfeile gegen Brüssel gehen Italiens Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini normalerweise nie aus, wenn es darum geht, die EU ins Visier zu nehmen. Gestern aber wollte der rechtspopulistische Innenminister plötzlich höflich „bitten“. Nämlich: „Wir werden die EU-Kommission bitten, die Italiener zu unterstützen, indem wir den Steuerdruck auf Unternehmen und Familien senken“, sagte ein überraschend zahmer Salvini.

Denn auch er weiß nun: In Brüssel ist Feuer am Dach. Die Geduld der Kommission mit der Budgetpolitik der populistischen Regierung neigt sich dem Ende zu. Heute, Mittwoch, könnte die EU-Kommission die Eröffnung eines Defizitverfahrens gegen die Regierung in Rom empfehlen. Dem müssten die EU-Finanzminister im Juli noch zustimmen. Am Ende dieses Verfahrens könnten milliardenschwere Bußgelder stehen.

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Ein Signal an Rom

Bis zur Verhängung finanzieller Sanktionen – maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) eines Landes – ist es allerdings ein weiter Weg. „Und bisher hat es Strafzahlungen bei Defizitverfahren in der EU noch nie gegeben“, schildert Berthold Busch vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Gegenüber dem KURIER führt der Ökonom aber auch aus: „Es wäre ein Signal der Kommission, als Hüterin der Verträge, an Rom: So geht es nicht weiter.“

Extrem hohe Schulden

Aus der Sicht der EU-Kommission tut Rom nicht genug, um den exorbitant hohen Schuldenstand von 132,2 Prozent des BIP zu senken. Laut Maastricht-Kriterien sollte aber kein EU-Staat höhere Schulden als 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung zulassen.

Macht der nach seinem Erfolg bei den EU-Wahlen gestärkte Salvini nun auch noch seine jüngsten Ankündigungen wahr, könnte der Schuldenstand nächstes Jahr sogar 135 Prozent erreichen.

So kündigte Salvini Steuererleichterungen in Höhe bis zu 30 Milliarden Euro an. Zudem sollen die bereits beschlossenen Mehrwertsteuererhöhungen von 23 Milliarden Euro zurückgenommen werden. Zusammen entsteht dadurch eine Budgetlücke von fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit verstößt Italien gegen alle Regeln des EU-Stabilitätspaktes. Nur maximal drei Prozent wären erlaubt.

Ein Horror für die Regelhüter in Brüssel, aber auch für die anderen 18 Staaten des Euroraumes. Nicht zuletzt Ex-Kanzler Sebastian Kurz hatte noch im Wahlkampf gefordert: Staaten, die sich nicht an die Regeln halten, sollte gleich von der EU-Kommission sanktioniert werden dürfen.

Doch Salvini wischt die Drohgebärden aus Brüssel via Twitter kühl weg: „Wir beachten die Drei-Prozent-Klausel nicht. Wir nehmen die Arbeitslosigkeit als Referenzpunkt. So lange die nicht normalisiert ist, investiere ich, nehme Steuern zurück und gebe Aufträge“, schrieb der Vize-Premier. Italiens Arbeitslosenrate lag laut gestern von Eurostat veröffentlichten Zahlen im April bei 10,2 Prozent (EU-Durchschnitt: 6,4 %; Österreich: 4,7 %).

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Wird heute ein Defizitverfahren empfohlen, muss Rom binnen sechs Monaten einen Plan vorlegen, wie es künftig sein Haushaltsdefizit abbauen will. Doch sowohl die rechtspopulistische Lega als auch der linkspopulistische Koalitionspartner Fünf-Sterne beharren vorerst auf dem Prinzip: Mit mehr Defizit für mehr Wachstum sorgen. Spannend werde es dann, sagt Wirtschaftsexperte Berthold Busch, „wie die Märkte auf eine Defizitverfahren reagieren werden. Dadurch könnte Italien unheimlich unter Druck kommen.“