Grünes Licht für Brexit-Deal: Jetzt muss May Parlament überzeugen
Die Chancen auf einen geordneten Brexit sind deutlich gestiegen. Die britische Regierung billigte am Mittwochabend den Entwurf eines Austrittsvertrags mit der Europäischen Union. Damit ist aus Sicht der EU-Kommission ausreichender Fortschritt erreicht, so dass für 25. November ein Brexit-Sondergipfel einberufen werden kann, wo man die Brexit-Einigung finalisieren will - "wenn nichts Außerordentliches passiert", wie EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag sagte.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sieht die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien fast am Ziel, nachdem das britische Kabinett den Entwurf für das Abkommen gebilligt hat. Er sehe genügend Fortschritt, um die Verhandlungen nun zu beenden, schrieb Juncker am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter.
Die größte Hürde wartet aber noch. Im britischen Parlament, das den Vertrag letztlich ratifizieren muss, gibt es großen Widerstand. Kommt der Vertrag zustande, wäre ein geordneter Austritt am 29. März 2019 gesichert sowie eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020, in der sich fast nichts ändert. Ob dies gelingt, dürfte sich aber erst nach einer Zitterpartie in den nächsten Wochen herausstellen.
"Entscheidender Fortschritt"
EU-Chefverhandler Michel sprach kurz nach dem Ergebnis zur Presse, aus seiner Sicht sei "entscheidender Fortschritt" erzielt worden. In den Brexit-Verhandlungen ist für ihn das Ziel erreicht worden, eine "harte Grenze" mit wiedereingeführten Kontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland zu verhindern. Ziel sei es, die Frage während der geplanten Übergangsphase bis Ende 2020 nach dem Brexit abschließend zu klären, sagte Barnier am Mittwochabend in Brüssel.
Reiche die Zeit nicht, könne die Übergangsphase "für einen begrenzte Zeitraum" verlängert werden, oder es greife eine Auffanglösung, in der das gesamte Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibe. Die Nordirland-Frage hatte über Monate einen Abschluss der Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien verhindert.
Schon die Billigung durch das britische Kabinett gestaltete sich langwierig. Schließlich teilte Premierministerin Theresa May nach einer etwa fünfstündigen Sitzung mit, ihre Minister hätten zugestimmt: "Das Kabinett hat gemeinsam entschieden, dass die Regierung dem Entwurf für die Austrittsvereinbarung zustimmen soll." Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, vor allem mit Blick auf die umstrittene Irland-Frage. May sprach dennoch vom bestmöglichen Abkommen, das habe ausgehandelt werden können.
Die Regierungschefin sprach von einer "leidenschaftlichen Debatte" mit ihren Ministern. Das Abkommen muss noch eine weitere Hürde im Parlament nehmen, wo May mit erheblichem Widerstand von Brexit-Hardlinern in ihrer Konservativen Partei rund um Ex-Außenminister Boris Johnson sowie seitens der nordirischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, rechnen muss.
Ungemach
Auch von anderer Seite droht May Ungemach. Die Brexit-Gegner im Parlament hoffen, eine Niederlage Mays könnte zu einem zweiten Brexit-Referendum und so zum Verbleib des Landes in der EU führen. Die Regierungschefin räumte ein, dass nun "schwierige Tage vor uns liegen".
Weitere Vorgangsweise auf EU-Seite
Von EU-Seite dürfte es nach Darstellung von Diplomaten nicht allzu große Schwierigkeiten geben. Die Botschafter der 27 bleibenden EU-Länder wurden am Mittwoch ausführlich informiert. Es seien keine entscheidenden Bedenken geäußert worden, hieß es anschließend. Eine Vorentscheidung treffen die Staats- und Regierungschefs bei einem geplanten Sondergipfel. Letztlich muss auch das Europaparlament den Vertrag ratifizieren. Mehrere Europaabgeordnete begrüßten die Einigung, kündigten aber eine genaue Prüfung an.
Bis kommenden Dienstag wolle die EU-Kommission auch die politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien fertigstellen, sagte Tusk. Die EU-Staaten sollen den Text bis Donnerstag prüfen, "ich hoffe auf nicht zu viele Kommentare". Tusk betonte, EU-Chefverhandler Barnier habe in dem Kompromiss sichergestellt, dass die Schäden durch den Brexit begrenzt bleiben und die wichtigsten Interessen der 27 EU-Staaten und der EU als Ganzes sichergestellt seien.
Barnier kündigte an, er reise weiter ins EU-Parlament nach Straßburg, um die politische Erklärung zu finalisieren. "Unsere Arbeit ist nicht zu Ende. Wir haben noch einen langen Weg vor uns auf beiden Seiten."
Durchbruch in Nordirland-Frage
Die Nordirland-Frage hatte über Monate einen Abschluss der Brexit-Verhandlungen verhindert. Die Unterhändler von EU und Großbritannien erzielten dann am Dienstag einen Durchbruch. Nach der Kabinettssitzung in London am Mittwochabend veröffentlichten die EU und die britische Regierung den 585 Seiten umfassenden Vertragsentwurf im Internet.
Kurz und Blümel "sehr froh"
Bundeskanzler Sebastian Kurz und Europaminister Gernot Blümel (beide ÖVP) zeigten sich beide "sehr froh" über das Ergebnis in London. "Ich hoffe nun auch auf Zustimmung des britischen Parlaments", schrieb Kurz am Mittwochabend auf Twitter. Der Vertragsentwurf werde "nun so schnell wie möglich bei einem Treffen" der EU-Minister der verbleibenden EU-Staaten sowie bei einem Brexit-Sondergipfel "geprüft" werden. Ähnlich äußerte sich Blümel in einer Mitteilung, für den eine "große Etappe" genommen wurde. Der deutsche Außenminister Heiko Maas gab sich ebenfalls zufrieden über Grundsatzeinigung zwischen Brüssel und London.
Eine Einigung muss spätestens im Dezember stehen, um die Ratifizierung durch die Parlamente auf beiden Seiten rechtzeitig vor dem Ende der britischen EU-Mitgliedschaft am 29. März 2019 zu ermöglichen. Sollte die angekündigte Einigung im Parlament in Westminster keine Mehrheit finden, droht ein Austritt ohne Abkommen - mit schweren Folgen für alle Lebensbereiche.