Blutige Grabsteine: Was Friedhöfe mit Kinderarbeit zu tun haben
Von Irene Thierjung
Was hat ein Grabstein in Österreich mit Kindern in Indien zu tun? Viel. Denn die Chance, dass Kinder ihn aus einem Felsen am Subkontinent geschlagen haben, unter sengender Sonne, ohne Schutzkleidung und fast ohne Lohn, ist groß.
In Deutschland stammen bereits zwei Drittel der Grabsteine und -einfassungen aus Indien, in Österreich dürfte es nicht viel anders sein. Auch Steinfliesen für Terrassen oder Küchenplatten kommen oft aus dem asiatischen Land.
TV-Spot der Kampagne "Kinderarbeit stoppen"
Den im Vergleich zu einheimischem Stein deutlich günstigeren Preis zahlen viele Kinder mit ihrem Leben. „Überall, wo Stein gebrochen, mit Schlagbohrmaschinen gearbeitet wird, entsteht Staub“, sagt Benjamin Pütter, Europas führender Experte für Kinderarbeit im KURIER-Gespräch.
Diesen einzuatmen, führe zur sogenannten Staublunge und verkürze die Lebensdauer enorm. „30 Jahre ist das Höchstalter, das in einem Steinbruch arbeitende Kinder erreichen können, wenn sie schon als Babys dorthin mitgenommen wurden“ – und das wüssten auch die betroffenen Kinder.
Pütter hat Indien in den vergangenen 39 Jahren 88-mal bereist. Insgesamt neun Jahre seines Lebens verbrachte der 61-jährige Deutsche dort, befreite mehr als 600 Kinder aus Gefangenschaft.
Nirgends ist Kinderarbeit in ihrer extremsten Form so verbreitet wie in Indien. 100.000 Kinder arbeiten Schätzungen zufolge allein in Steinbrüchen, dazu kommen Minderjährige in Teppichknüpfereien, in Fabriken für Feuerwerke oder Räucherstäbchen. Ihre Erzeugnisse finden auch hierzulande reichlich Abnehmer.
Es gibt laut Pütter drei Arten, wie Kinder in Sklaverei geraten. „Bei der schlimmsten, aber seltenen Art mietet ein Sklavenhalter einen Lkw und entführt Kinder. Was viel häufiger vorkommt, ist, dass eine Familie Schulden macht, z. B. für eine Hochzeit, umgerechnet etwa 100 Euro. Bei Zinsen von bis zu 20 Prozent am Tag verdoppeln sich die Schulden alle vier Tage.“
Wenn die Familie nicht mehr zahlen könne, drohe der örtliche Geldverleiher, das Haus anzuzünden – es sei denn, der sechsjährige Sohn komme mit ihm, um die Schulden abzuarbeiten.
Derartige Schuldknechtschaften entstehen auch, wenn sich Kinder bei der Arbeit verletzen und ihr „Sklavenhalter“ im Spital für die Behandlung aufkommt.
„Da fast alle Kinder Analphabeten sind, unterschreiben sie dann einen Schuldschein, auf dem aber aus 50 Euro 5000 Euro gemacht wurden, mit ihrem Daumenabdruck“, so Pütter. Diese Summe könnten die Kinder mit 80 Cent Lohn pro Tag jedoch nie zurückzahlen.
Mordanschläge
Zweimal entging Pütter in Indien einem Mordanschlag, das letzte Mal vor zweieinhalb Jahren. Danach erhielten alle Steinbruchpächter im Süden des Landes eine DVD mit einer ARD-Doku über Kinderarbeit, in der Pütter gezeigt wurde. Mit der Aufforderung, ihn zu erschießen, sollte er gesehen werden. Aufhalten lässt sich Pütter davon nicht, auch wenn er Steinbrüche seither meidet.
Um gegen Kinderarbeit anzugehen, seien mehrere Dinge nötig, sagt der Experte. Erst einmal müssten Opfer befreit werden. Schulbildung und schulbegleitende Berufsausbildung ermöglichten ihnen und anderen Kindern Arbeit ohne Ausbeutung. Wichtig sei auch die Einbeziehung der Eltern durch einkommenschaffende Maßnahmen und Abendschulen.
Was tun?
Gesetze gegen Kinderarbeit gebe es weltweit genug, sagt Pütter, auch in Indien. Es hapere an deren Umsetzung – oft bedingt durch die Tatsache, dass Politiker oder Polizeichefs selbst an Kinderarbeit verdienten. Es brauche stärkeren internationalen Druck, etwa in Form von Importverboten für nicht als Kinderarbeit-frei zertifizierte Produkte.
Und was kann jeder Einzelne gegen Kinderarbeit machen? Eine Möglichkeit ist, auf Gütesiegel zu achten (wie Xertifix und Fair Stone für Natursteine; einen Überblick über andere Siegel gibt u. a. bewusstkaufen.at)
„Ich wünsche mir, dass Menschen beim Kauf nachfragen, warum ein Produkt so viel billiger ist und ob da vielleicht Kinderarbeit dahintersteckt“, sagt Pütter. Wenn Kunden keine Produkte mit Kinderarbeit mehr kauften, würden Händler diese auch nicht mehr anbieten.
Es reiche, wenn man sich ein Produkt vornehme, dass man künftig nur noch fair produziert kaufen möchte. So könne jeder seinen Teil beitragen.