Politik/Ausland

Hosni Mubarak darf Gefängnis verlassen

Eigentlich ist es kaum mehr als ein juristischer Formalakt – und als den versuchte es Ägyptens Militärregime auch zu verkaufen. In aller Kürze ließ das staatliche Radio verlautbaren, dass der Häftling Hosni Mubarak die maximal mögliche Dauer seiner Untersuchungshaft erreicht habe und daher den Fortgang seiner Gerichtsverfahren von nun an von zu Hause aus – in einer Art lockeren Hausarrests – verfolgen könne.

Formalakt mit Sprengstoff

Politisch aber birgt dieser Formalakt genug Sprengstoff, um Ägypten in der derzeitigen Krise endgültig explodieren zu lassen. Schließlich trug der Ex-Diktator dieselbe Uniform wie jene Generäle, die seit dem Militärputsch Anfang Juli das Land beherrschen. 30 Jahre lang hat der ehemalige Offizier der Luftwaffe das Land autoritär regiert und sich samt seiner Großfamilie dabei schamlos bereichert. Erst die Revolution im Februar 2011 machte seiner Militärdiktatur ein Ende und brachte Ägypten jene – wenn auch fehleranfällige – Demokratie, die jetzt wieder an ihr Ende gekommen scheint.

Denn die Armee, die jetzt im Land am Nil wieder das Sagen hat und ihre Macht mit blutiger Gewalt verteidigt, war immer die wichtigste Stütze Mubaraks. So kamen die Generäle nicht nur zu politischem Einfluss auf allen Ebenen, sondern auch zu wirtschaftlicher Macht.

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Aufruf zu Protest

Die Freilassung des Ex-Militärdiktators in einem Moment, in dem das Militär seine Macht im Land wieder festigt, dürfte – so mutmaßen Experten – in Kairo als Symbol für das endgültige Ende von Ägyptens Revolution und den nachfolgenden demokratischen Gehversuchen gesehen werden. Für die Muslimbrüder und ihren vom Militär gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi ein weiterer Grund, um ihren Aufstand gegen das Regime fortzusetzen. Der demokratisch gewählte Präsident Mursi in Haft, ebenso Mohammed Badie, der geistige Führer der Muslimbrüder, Hosni Mubarak, der Ex-Diktator, dagegen frei: Ein Widerspruch, der vielen Anhängern der Muslimbrüder auch den letzten Glauben an eine demokratische Zukunft Ägyptens nehmen dürfte - mit ernsten Konsequenzen. Schon für Freitag ist erneut zum „Tag des Zorns“ mit Massenprotesten ausgerufen worden.

Wenn sich die Staatsanwaltschaft nicht in letztem Moment für einen Einspruch entscheidet, dann öffnen sich voraussichtlich heute, Donnerstag, die Tore des Tora-Gefängnisses unweit von Kairo für den 85-Jährigen. Wie es allerdings mit seinen Prozessen weitergeht, ist derzeit schwer abzuschätzen. Zwar ist die Anklage wegen Korruption nun fallen gelassen worden, doch auf Mubarak wartet eine Reihe weiterer Gerichtsverfahren.

Mitschuld

So wurde er wegen Mitschuld am Tod Hunderter Demonstranten während der Revolution bald nach dem Umsturz zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Bilder, die den Ex-Diktator im Krankenbett vor Gericht zeigten, symbolisierten für viele Ägypter den Sieg der Revolution. Mubarak erlitt aber mehrere Herzattacken und blieb von da in der Klinik des Tora-Gefängnisses. Seine Anwälte gingen in Berufung und erreichten, dass der Prozess neu aufgerollt werden musste. Da sich dieser derzeit ohne Aussicht auf ein baldiges Urteil dahinschleppt und Mubarak außerdem aufgrund seines Gesundheitszustandes nur bedingt haftfähig ist, ist die Chance, dass er den Rest seiner Tage zu Hause verbringt, ziemlich groß.

Forderungen nach raschen politischen Veränderungen in Ägypten und ein Stopp von Waffenlieferungen, sonst aber noch keine Sanktionen: Das ist das Ergebnis der gestrigen Sondersitzung der EU-Außenminister in Brüssel.

Österreichs Außenminister Michael Spindelegger sagte, es gehe nicht um Sanktionierung, sondern darum, „der Armeeführung die Rute ins Fenster zu stellen und klarzumachen, dass sie die Regeln eines Rechtsstaates einhalten muss. Die EU hat mehrere Instrumente die heute alle klar auf den Tisch gelegt wurden. Dazu gehören die Einfrierung eines Großteils der EU-Hilfszahlungen, ein sofortiger Stopp aller Rüstungsexporte und die eingehende Prüfung des Assoziationsabkommen“.

Waffenlieferungen jedenfalls will die EU aussetzen. Von den EU-Außenministern sei ein sofortiges Exportverbot von „Gütern für die interne Repression“ vereinbart worden, sagte der deutsche Chefdiplomat Guido Westerwelle am Mittwoch in Brüssel.

Auch US-Präsident Barack Obama hat mit ranghohen Beratern das weitere Vorgehen angesichts der Gewalt in Ägypten erörtert. Dabei sei es um eine grundsätzliche Überprüfung der US-Politik gegenüber Ägypten gegangen. Zuvor hatte die US-Regierung dementiert, die Militärhilfe für Ägypten (eine Milliarde Euro pro Jahr) eingeschränkt zu haben.

Nach dem Sturz von Ägyptens Präsident Mubarak und der Wahl Mohammed Mursis von den Muslimbrüdern gab es Hoffnung auf Veränderungen, auch der Kopten. „Aber Mursi hat sehr bald sein wahres Gesicht gezeigt und die Hoffnungen enttäuscht“, sagt Georg Dawoud von der Koptischen Jugend in Österreich am Mittwoch gegenüber Journalisten in Wien. „Die Absetzung Mursis war eine Notwendigkeit, weil sonst Ägypten im Blutbad versunken wäre“, so Dawoud. Ägyptens Militär habe nicht geputscht, sondern zum Schutz des Landes und seiner Bürger eingreifen müssen, betont er – und alle anderen Vertreter der Kopten-Jugend nicken. Sie warnen auch davor, getäuschten, manipulierten Bildern von angeblichen Militäropfern auf den Leim zu gehen.

Doch die bisherige Bilanz von 600 Toten bezweifeln die jungen Kopten nicht. „Die Muslimbrüder glauben nicht an Demokratie, sie sehen sie nur als Mittel zum Zweck“, sagt Christopher Dawoud. Das Ziel sei ein Gottesstaat. Und dafür nähmen sie viele Tote in Kauf.

Die gegenwärtige Gewalt in Ägypten gehe von der Muslimbruderschaft aus, die einen religiösen Bürgerkrieg entfachen wolle, ergänzt Maikel Azer. Nach der Verhaftung Mursis hätten die Muslimbrüder gedroht, Feuer im ganzen Land zu entfachen. „Und das haben sie getan. Feuer nicht nur zwischen den Religionen, sondern auch innerhalb der Familien.“ Die Liste der innerhalb von 48 Stunden nach Mursis Sturz niedergebrannten, zerstörten und geplünderten Einrichtungen der Christen ist lang (siehe Grafik). Gewalt gegen Kopten habe es in Ägypten immer schon gegeben, so Azer. „Sollten die Muslimbrüder nicht gestoppt werden, droht der nächste Holocaust – nur diesmal nicht an Juden, sondern an Kopten“, befürchtet Christopher Dawoud.

Kairo ist eine unheimliche Stadt dieser Tage. Mit Einbruch der Dunkelheit um halb sieben wird die laute Metropole zur Geisterstadt. Ab 19 Uhr sollte man nicht mehr aus dem Haus gehen – und wenn doch, kann man sich nur in seinem Bezirk frei bewegen. Die Armee sperrt die Hauptverkehrsstraßen großräumig ab. Wer nach der Ausgangssperre noch durch will, muss sich auf Diskussionen mit Soldaten einstellen. Bis vor Kurzem wurden von Bürgerwehren, meist junge Männer, Checkpoints eingerichtet, um das Militär zu unterstützen. Wer diese Helfer waren, wusste niemand, aber niemand kritisierte ihr Tun, schon gar nicht die Armee.

Der Aufruf, Bürgerwehren zu bilden, kam von der Aktivistengruppe Tamarud. Tamarud hatte mit einer Unterschriftenaktion und Massenprotesten gegen Präsident Mohammed Mursi wesentlich zu dessen Sturz beigetragen. Die Bürgerwehren sollten Gebäude, Moscheen und Kirchen vor möglichen Attacken der Islamisten schützen, die am „Freitag der Wut“ zu einer Großdemonstration mobilisiert hatten.

Rachefeldzug gegen Christen

Denn seit Mittwoch, dem Tag als die Polizei die Protestcamps der Anhänger Mursis gewaltsam räumte, brennen im ganzen Land Kirchen. Es ist ein Rachefeldzug der Islamisten gegen Christen, die deren Ansicht nach hinter dem Putsch stehen, mit dem Präsident Mursi aus dem Amt gejagt wurde. Augenzeugen berichten, dass weder Polizei noch Armee die Kirchen sichern.

Auch tagsüber sieht man nur wenige Menschen auf den Straßen. Geschäfte und Banken schließen früher oder öffnen erst gar nicht. Ständig muss man damit rechnen, auf seinem Weg auf eine Straßensperre zu treffen. Von gewalttätigen Auseinandersetzungen zeugen ausgebrannte Autos und Gebäude, Scherbenhaufen und zerstörte Bushaltestellen. Die Menschen beginnen Lebensmittel zu bunkern. Keiner weiß, was als Nächstes passieren wird. Die Ägypter sind es gewohnt, in ihrer Freizeit die Nacht zum Tag zu machen – aber das ist unter diesen Umständen nicht möglich. Was bleibt, ist zu Hause zu sitzen und jeden Abend aufs Neue im Fernsehen von einem weiteren Blutbad irgendwo im Land zu hören.

Die Stimmung unter der Bevölkerung ist einerseits deprimiert, andererseits aufgeladen und aggressiv. Familien, Nachbarn, Freunde streiten untereinander, was denn nun die richtige politische Haltung sei. Ob die Armee richtig handelt mit ihrer eisernen Hand im Umgang mit den Muslimbrüdern oder nicht. Entweder man ist dafür oder dagegen. Kompromisse oder gegenseitiges Verständnis gibt es dabei nicht.

So gut wie alle örtlichen TV-Sender haben Banner mit der Aufschrift „Ägypten gegen den Terrorismus“ eingeblendet. Spots laufen, in denen die Verbrechen der Muslimbrüder angeprangert werden. Der Tenor in den Medien lautet: Die Muslimbrüder müssen vernichtet werden. Das sieht auch der Großteil der Bevölkerung so und hat kein Problem damit, dass Sicherheitskräfte Demonstranten niederschießen.

Warnung an Journalisten

Man fühlt sich vom Ausland unfair behandelt, weil ausländische Medien kritisch über das brutale Vorgehen gegen die Muslimbrüder und Mursi-Sympathisanten berichten. Der staatliche Informationsdienst veröffentlichte einen Appell an ausländische Korrespondenten, nicht einseitig zu berichten, „wenn es um den Kampf Ägyptens gegen den Terror geht“. Man solle vor allem akzeptieren, dass die Absetzung Mursis kein Militärcoup war.

Die Arbeit als Journalistin wird damit zunehmend unmöglich. Auf Twitter schreibt eine Journalistin, die von der Besetzung der Moschee durch Mursi-Anhänger berichtete, ein Polizist habe Männer um sie herum aufgefordert, sie zu verprügeln, weil sie Amerikanerin sei. Ein deutscher Kollege von Spiegel Online berichtet, er sei auf dem Platz, wo das Protestcamp der Mursi-Anhänger war, verhaftet worden. Er berichte schlecht über Ägypten, so der Vorwurf. Sieben Stunden wurde er auf einer Polizeistation festgehalten.

Neben den willkürlichen Festnahmen machen einem die Straßensperren zu schaffen – und die Demos. Dort wird regelmäßig scharf geschossen. Sowohl von Sicherheitskräften, als auch von Demonstranten. Oft sitzen Scharfschützen der Armee oder der Muslimbrüder auf umliegenden Dächern. Und oft greifen selbst normale Bürger in ihrem Hass gegen die Muslimbrüder zu Steinen und Flaschen und attackieren Demonstrationszüge. Journalisten geraten da leicht zwischen die Fronten. Vier, darunter auch Ausländer, wurden laut der ägyptischen Vereinigung für Meinungs- und Gedankenfreiheit schon getötet.