Politik/Ausland

Abzug der USA aus Afghanistan: "Dies ist ein moralisches Desaster"

Nach 20 Jahren Besatzungszeit haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika vorerst endgültig aus Afghanistan zurückgezogen. 

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Kurz vor Mitternacht Ortszeit am Montag hob die letzte US-Militärmaschine vom Flughafen in Kabul ab. Zurück blieb ein aufgerütteltes Land unter der Kontrolle der radikal-islamistischen Taliban. Neben tausenden Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, hat die USA vor allem ein zerstörtes Land hinterlassen.

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Der Abzug der USA sorgt auf der ganzen Welt für Schlagzeilen. Der KURIER fasst die wichtigsten Bilder und internationalen Pressestimmen rund um den Abzug der Amerikaner zusammen.

"Corriere della Sera" (Mailand): 

"Die Parallelen der Fotos von Hubschraubern, die von den Dächern der Botschaften fliehen, passen nicht: Kabul 2021 ist nicht Saigon 1975. Damals verloren die USA ein Stück der Welt, das sie aus der kommunistischen Einflusssphäre heraushalten wollten. Heute verlieren sie mit Afghanistan wenig bis gar nichts. Tatsächlich könnte man sogar gewinnen, wenn man das heiße Eisen Taliban loslässt. Washington wurde nicht besiegt, aber es wollte verlieren.

Der Plan, so diese These, war natürlich nicht, sich mit den Terroristen auf den Fersen und den jubelnden Islamisten zurückzuziehen. Die Durchführung war chaotisch und tragisch, doch das Projekt des Verlierens hat seine eigene Logik. Zwar unaussprechlich und weit entfernt von der Vorstellung von guter Stärke, die die Amerikaner an sich haben, aber wertvoll, um die wahren Gegner der US-Vorherrschaft zu zermürben: nicht die Taliban oder Isis-K, sondern China, Russland und in geringerem Maße auch der Iran."

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"El Periódico" (Madrid):

"Wenn heute die letzten US-Militärs Kabul verlassen, werden sie keinen verlässlichen Verbündeten an den Grenzen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken, zu Iran, China und Pakistan zurücklassen. Aus geostrategischer Sicht ist das, was sie hinterlassen, ein Vakuum, das China, Russland, der Iran und die Golfmonarchien bereits eilig zu füllen versuchen, während der Westen das neue Regime diplomatisch nicht anerkannt hat und keine Präsenz mehr in Afghanistan hat (...).

Schon in wenigen Tagen wird sich zeigen, inwieweit die Taliban bereit sein werden, die Bedingungen zu erfüllen, unter denen die Regierung von Donald Trump das Land in ihre Hände gelegt hat, um die Truppen abziehen zu können. Ein Abzug mit festem Termin. Trumps Nachfolger blieb ohne Handlungsspielraum und wurde von den Umständen überwältigt. Die erste Verpflichtung der Taliban, die nun auf den Prüfstand gestellt werden wird, ist, dass sie die Afghanen, die das Land verlassen wollen, ausreisen lassen (...) Obwohl es vielleicht leichter sein wird, dass die Taliban ihre Gegner herauslassen, als dass der Westen die Tore auch für jene Flüchtlinge öffnet, die in Afghanistan nicht direkt mit ihm zusammengearbeitet haben."

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"Washington Post":

"Die Zahl der Menschen, die seit Ende Juli auf dem Luftweg aus Kabul evakuiert wurden - rund 122.000 - ist zwar enorm, aber nicht groß genug. Glücklicherweise konnten viele Tausend US-Bürger, Bürger aus Drittstaaten und Afghanen entkommen, die direkt für die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten gearbeitet haben. Aber viele Tausend Menschen haben es nicht geschafft (...).

Dies ist ein moralisches Desaster, eines, das nicht zurückzuführen ist auf das Handeln des militärischen und diplomatischen Personals in Kabul - das sich angesichts der tödlichen Gefahren mutig und professionell verhalten hat -, sondern auf strategische und taktische Fehler Bidens und seiner Regierung.

"Nepszava" (Budapest):

"Seit der Flüchtlingskrise von 2015 haben nun selbst jene Länder Maßnahmen zur Abwehr von Migration getroffen, die damals tatsächlich beispiellose Solidarität an den Tag gelegt hatten. In Schweden oder Deutschland wollen aber die Menschen indes nichts mehr hören von einer Massenzuwanderung. (...) Die Strategie der EU besteht jetzt darin, den Flüchtlingen in den Nachbarländern Afghanistans zu helfen. Im Gegenzug dafür lässt die EU diesen Ländern ähnliche Unterstützung zukommen, wie sie dies 2016 mit der Türkei vereinbarte. Doch man muss wissen: in Pakistan oder im Iran warten auf die Afghanen elende Zustände, wie auch immer die künftigen Vereinbarungen aussehen werden."

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"Tages-Anzeiger" (Zürich):

"Ohne die US-Streitkräfte geht gar nichts. So war es nie eine Option, dass die Europäer länger bleiben und den afghanischen Streitkräften die nötige Luftunterstützung gewähren. Die Europäer sehen sich nicht einmal in der Lage, den Flughafen von Kabul allein zu sichern, um die Evakuierung zu Ende zu bringen.

Das ist auch eine Offenbarung für Ursula von der Leyen, einst als Präsidentin für eine geopolitische Kommission angetreten. In Brüssel wird viel über 'strategische Autonomie' gesprochen. Das Konzept ist eine leere Hülle geblieben. Einen Versuch für einen Staatsaufbau wie in Afghanistan wird es zwar nicht so schnell wieder geben. Europa wird sich aber in Zukunft mehr um seine eigene Sicherheit kümmern, sich selber gegen Terrorgefahr in seiner Nachbarschaft schützen müssen und dabei nur noch beschränkt auf die USA setzen können."

"Dernières Nouvelles d'Alsace" (DNA) (Straßburg):

"Die Taliban sind zurück an der Macht und mit ihnen kommen die Geister der Vergangenheit wieder zum Vorschein: abgehackte Hände, Frauen, die wie Sklaven behandelt werden, öffentliches Aufhängen, Steinigungen. Und auch der Bürgerkrieg (...). So sieht die Zukunft von Afghanistan aus und es wird lange dauern, bis der Westen entscheidet, sich wieder einzumischen. Der Zusammenbruch der letzten Wochen wird tiefe Spuren hinterlassen (...).

Die Russen, Chinesen, Iraner und Pakistaner werden sich damit abfinden - es ist nicht die Achtung der Menschenrechte, die sie ausbremsen wird. Europa seinerseits würde gerne handeln, kann es aber nicht. (...) Das Einzige, was für (Europa) zählt, ist der Schutz vor einer seit Monaten inszenierten Flüchtlingswelle. Doch niemand kann vorhersagen, dass sie eintreffen und wie groß sie ausfallen wird."

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"The Guardian" (London):

"Dies scheint im Widerspruch zu Berichten über Hausdurchsuchungen und die Einschüchterung von Personen zu stehen, die mit der früheren Regierung und den westlichen Streitkräften in Verbindung standen. Da die USA und ihre Verbündeten jedoch keinen Einfluss auf das Land haben, können sie nur hoffen, dass das Kalkül der Taliban in Bezug auf deren eigene Interessen zugunsten des Westens ausfällt.

Indes führen steigende Lebensmittelpreise, die anhaltende Dürre in weiten Teilen des Landes und die Binnenvertreibung von Millionen von Flüchtlingen - darunter viele Frauen und Kinder - bereits jetzt, da Herbst und Winter näher rücken, zu schrecklichen Nöten. Ohne ein gewisses Maß an Kooperation und Zusammenarbeit mit dem neuen Regime wird es unmöglich sein, den verzweifelten Afghanen die erforderliche humanitäre Hilfe zukommen zu lassen."

"Hospodarske noviny" (Prag):

"Die fieberhafte Serie von Beratungen auf EU-Ebene in dieser Woche zeigt: Das Problem namens Afghanistan verschwindet für Europa nicht, sondern bekommt eine neue Dimension. Europa ist darauf nicht vorbereitet und hat keine gemeinsame Strategie für das weitere Vorgehen. Viele europäische Politiker versuchen gar nicht erst, die Panik zu verstecken, die der schnelle Fall Kabuls ausgelöst hat. Es werden Erinnerungen an die große Menge an Flüchtlingen im Jahr 2015 wach. Die Festung Europa findet auf einmal Zäune an den Grenzen sinnvoll. Doch es ist klar, dass es keine langfristige Lösung für die Sicherheit der Europäer sein kann, sich vor der Außenwelt abzuschotten."