Prigoschin nach DNA-Analyse offiziell für tot erklärt
Russische Behörden haben den Tod des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, offiziell bestätigt. Bei den genetischen Untersuchungen seien alle zehn Todesopfer des Absturzes identifiziert worden, erklärte das russische Ermittlungskomitee am Sonntag. Es handle sich um die auf der Passagierliste des Fluges genannten Menschen.
Das Flugzeug war am Mittwochabend in der russischen Region Twer abgestürzt, nach Behördenangaben kamen alle zehn Insassen ums Leben. Der Tod Prigoschins war bisher formell nicht bestätigt worden.
Auch Prigoschins Stellvertreter Dmitri Utkin unter Passagieren
Auf der Liste stand Behördenangaben zufolge Prigoschin, aber auch sein Stellvertreter Dmitri Utkin. Nähere Angaben machte das Ermittlungskomitee zunächst nicht. Die Ermittler äußerten sich auch nicht zu den untersuchten Spuren.
Seit dem Absturz gibt es Spekulationen, dass es sich um einen Anschlag auf den Wagner-Chef gehandelt haben könnte. Der Kreml wies jegliche Vermutungen über eine Verwicklung in den Fall als "absolute Lüge" zurück.
Alles an dem Absturz war ungewöhnlich: Die äußerst schnelle Mitteilung der Rosawijazija, der Flugaufsicht, dass sich Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin an Bord des abgestürzten Privatjets befunden habe. Die unmittelbare Nähe des Absturzortes zu einem Raketenlager des Militärs, von wo auch Luftabwehrraketen abgeschossen werden können. Und zwei angebliche Explosionen, die dem Absturz vorangingen und über die Augenzeugen berichten.
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Bereits am Mittwochabend deutete alles darauf hin, dass der berüchtigte Wagner-Boss, der vor exakt zwei Monaten eine Meuterei gegen Moskau angezettelt hatte, bei einem Flugzeugunglück in der Region Twer mehr als 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt ums Leben kam.
Wie starb Prigoschin?
- Prigoschins Jet stürzte ab: Abgestürzt ist ein Geschäftsreiseflugzeug vom Typ Embraer Legacy, das regelmäßig von Prigoschin und seiner Privatarmee Wagner genutzt wurde. Russlands Ermittlungsbehörden haben ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die Sicherheitsvorschriften im Luftverkehr eingeleitet.
- Die Insassen: Auf der von der Luftaufsichtsbehörde ungewöhnlich schnell bereitgestellten Passagierliste, die demnach von der Fluggesellschaft stammt, stehen zehn Menschen. Darunter sind Jewgenij Prigoschin und Dmitri Utkin. Der russische Zivilschutz hat den Tod aller zehn Insassen des Flugzeugs bestätigt.
- Absturzort: Der Absturzort Kuschenkino liegt im nordrussischen Gebiet Twer nahe dem Waldai-See, wo auch Putin eine Residenz hat. Augenzeugen sprachen von zwei lauten Explosionen vor dem Absturz. Die Trümmer liegen weit verteilt, was für ein Auseinanderbrechen des Flugzeugs vor dem Aufprall spricht.
- Absturzzeit: Die Embraer verlor um 18.19 Uhr Ortszeit (17.19 Uhr MESZ), eine halbe Stunde nach dem Start, massiv an Höhe. Innerhalb einer halben Minute sank das Flugzeug nach Angaben von Flightradar24 gut zwei Kilometer. Dann hielt es sich einige Sekunden auf der Höhe von rund sechs Kilometern, ehe es abstürzte. Zuvor gab es keine Auffälligkeiten.
Was wir nicht wissen
- Absturzursache: Über die Ursache des Absturzes gibt es bisher nur Spekulationen. Der Prigoschin nahe stehende Telegram-Kanal Grey Zone schrieb von einem Abschuss des Flugzeugs durch die Flugabwehr. Auch von einer Bombe an Bord und technischen Problemen ist die Rede.
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Der Privatjet vom Typ Embraer war im Besitz des Wagnerchefs; auch seine rechte Hand, Ex-Geheimdienstoffizier Dmitrij Utkin, soll sich an Bord befunden haben.
Wie Politikwissenschaftler Gerhard Mangott den Jet-Absturz einschätzte
Politikwissenschafter Gerhard Mangott ging bereits nach der Meldung zum Jet-Absturz davon aus, dass die Meldungen über Prigoschins Tod stimmen würden. Der Wagner-Aufstand sei ein Zeichen der Schwäche für Russlands Präsidenten Wladimir Putin gewesen und: "Schwäche kann sich Putin nicht leisten."
Mangott sagte bereits in der ZiB 2 Mittwochabend weiters: "Diese mutmaßliche Ermordung heute ist wahrscheinlich ein Beleg dafür, dass Putin beweisen wollte: "Ich bin nicht schwach, ich habe alles unter Kontrolle. Alles ist so, wie ich es haben möchte.""
In den sozialen Medien wurden Informationen verbreitet
In den sozialen Medien und auf Telegram-Kanälen wurden Videos verbreitet, die ein Flugzeug zeigen, das senkrecht in Richtung Boden fällt. Auch Bilder von brennenden Trümmern auf einem Feld kursieren. Unabhängig überprüfen lassen sich diese nicht.
Viele Beobachter waren sich einig, dass der Absturz von außen herbeigeführt worden sein musste – wenn schon nicht vom Kreml selbst, dann von der Militärführung rund um Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabchef Gerassimow, die Prigoschin ja über Monate aufs Derbste beschimpft hatte.
Die Gruppe Wagner ist ein privates Sicherheits- und Militärunternehmen, und wurde lange vom russischen Staat beauftragt. Sie kämpfte im Krieg gegen die Ukraine, operiert auch anderswo. Im Juli gab Chef Prigoschin bekannt, Wagner werde nicht mehr in der Ukraine kämpfen, sondern sich auf Einsätze in Afrika konzentrieren.
Jewgenij Prigoschin übernahm Wagner nach dem russischen Einmarsch auf die Krim 2014 und baute sie zu einem international agierenden Unternehmen aus. Für Söldner-Entsendungen bekam er lukrative Lizenzen – für Gold- und Diamantenminen in Afrika.
Auf eine Liquidierung deutet neben den Umständen des Absturzes auch die Vorgeschichte, die Prigoschin mit der Moskauer Führung verbindet. Dass er nach seiner in letzter Minute abgesagten Meuterei ein Stelldichein bei Putin hatte und dieser ihn ohne Weiteres gehen ließ, hinterließ viele irritiert.
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Wenn Putin jemanden loswerden will, geht das meist recht rasch über die Bühne, siehe Nawalnys Vergiftung oder Chodorkowskijs Verhaftung.
Prigoschin hat viele Doppelgänger
Wagner-nahe Telegramchannels wie etwa Grey Zone, über die Prigoschin seine Tiraden oft verbreitete, behaupteten darum auch, Prigoschins Jet sei aus Rache von der Luftabwehr abgeschossen worden. Überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. Am Abend nach dem Absturz vermeldete der Grey Zone schließlich Prigoschins Tod: "Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands", hieß es in dem Post. "Aber selbst in der Hölle wird er der beste sein!".
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Wall Street Journal, New York: "Dies ist kein Zufall, Genosse, wie die Sowjets zu sagen pflegten. (...) Wenn es sich bei Prigoschins Tod um ein Attentat handelte, war dies als Botschaft an andere potenzielle Putschisten gedacht. (...) Prigoschins Tod offenbart die brutale Politik, die Russland jetzt beherrscht (..)"
The Telegraph, London: "Meldungen über den Abschuss eines Flugzeugs, das angeblich den Wagner-Führer Jewgeni Prigoschin an Bord hatte, sind eine weitere außergewöhnliche Wendung in der neueren russischen Geschichte. Sie zeugen zudem von der totalen Dysfunktion des Staates nach Putins desaströsem Einmarsch in der Ukraine."
de Volkskrant, Amsterdam: "Wenn Prigoschin tatsächlich umgekommen ist, dann ist das eine gute Nachricht für die Ukraine, aber auch für die russische Armeeführung, die zähneknirschend mit ansehen musste, wie der umstrittene Chef der Wagner-Truppe von russischen Militär-Bloggern bejubelt wurde."
Rzeczpospolita, Warschau: "Unabhängig davon, ob Prigoschin lebt oder tot ist, ob er nur auf der Passagierliste stand, aber nicht an Bord gegangen ist, oder ob er in dem Flugzeug saß - eines ist sicher: Er stand auf Putins Liste. Vor zwei Monaten, nach einer bizarren Meuterei der Wagner-Kämpfer, sprach Putin vor verwirrten und verängstigten Russen von einem Verrat, der bestraft würde. Man wird kaum einen Russen finden, der jetzt nicht glaubt, dass die Strafe vollzogen wurde."
Kremlnahe Kommentatoren diskutierten die seltsamen Umstände des Absturzes auch, sie sahen die Schuld dafür aber eindeutig im Westen – ein Terroranschlag, ausgeführt von einer ukrainischen Drohne oder eine an Bord platzierte Bombe seien die Ursache. In Russland wird sich jedenfalls ein Investigativkomitee um die Untersuchung des Falles kümmern. Vertrauenswürdige Ergebnisse erwarten Experten dabei aber nicht.
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sagte am Mittwoch in der ZIB2, er traue Putin "leider" zu, dass er Prigoschin auf diese Art und Weise liquidieren ließ: "Vergeben und vergessen sind nun mal nicht sehr starke Eigenschaften vom Präsidenten der russischen Föderation." Bereits vor zwei Monaten habe er erwartet, dass die Meuterei gegen Moskau Konsequenzen haben würde.
Wer ist die Söldner-Gruppe Wagner?
Die Söldnertruppe, die Prigoschin nach eigenen Angaben 2014 gegründet hat, hatte für Russland erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas erfüllt. Im Angriffskrieg auf die Ukraine warb Prigoschin Häftlinge aus russischen Gefängnissen an. Die Truppe erlitt schwere Verluste in den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut. Priogoschin warf der regulären Militärführung Unfähigkeit und Korruption vor.
Priogschin hatte selbst im Gefängnis gesessen und später Karriere als Hoflieferant für den Kreml gemacht, daher rührt sein Beiname "Putins Koch“. Er soll auch der Geschäftsmann hinter den Trollfabriken in St. Petersburg gewesen sein, die über soziale Netzwerke Einfluss auf westliche Länder zu nehmen versuchten.
Prigoschin zuletzt: "Wir arbeiten"
Erst kürzlich hatte sich der Wagner-Boss per Video aus Afrika gemeldet, sei aber kurz danach in seine Heimat zurückgekehrt. Der rund 40 Sekunden lange Clip, der Prigoschin in Tarnkleidung und mit Gewehr in der Hand zeigt und im Internet kursierte, sei in einem afrikanischen Land aufgenommen worden, teilte Grey Zone Montagabend mit. Genauere Informationen – wie Ort und Zeitpunkt der Aufnahme – wurden nicht genannt.
Unabhängig überprüft werden konnte der Aufnahmeort zunächst nicht. "Wir arbeiten. Die Temperatur beträgt mehr als 50 Grad", sagt Prigoschin in dem Video. Dann erklärt er, dass seine Wagner-Truppe Aufklärungsarbeiten durchführe - und fügt hinzu: "Sie macht Russland noch größer auf allen Kontinenten. Und Afrika noch freier."
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