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Fünf weitere Jahre Ursula von der Leyen?

Anders als vor fünf Jahren, als die damalige deutsche Verteidigungsministerin vor der Europawahl fast niemand auf dem Zettel für die Anwartschaft auf das Amt der EU-Kommissionspräsidentin hatte, ist Ursula von der Leyen heute Favoritin. Als Spitzenkandidatin der EVP weiß sie die größte Fraktion im EU-Parlament hinter sich. Aktuellen Prognosen zufolge werden die Konservativen auch künftig die meisten Abgeordneten stellen (176), gefolgt von den Sozialdemokraten mit 138 Sitzen. Das reicht noch nicht. Denn letztlich werden mindestens 361 Stimmen dafür benötigt, die Kommissionsspitze zu wählen – auf Basis eines Vorschlags der EU-Regierungschefs, der das Ergebnis der Europawahlen zu berücksichtigen hat.

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Um Unterstützung aus anderen Reihen zu bekommen, sind die Fühler längst in alle Richtungen ausgestreckt – sicherheitshalber auch zu den Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni oder der Demokratischen Bürgerpartei des tschechischen Regierungschefs Petr Fiala, die in der EU-kritischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer verankert sind. Denn 2019 ging die Wahl nur knapp an von der Leyen – neun Stimmen gaben den Ausschlag. Danach setzte sie in ihrer ersten Präsidentschaft auf ein stärkeres Europa in der Welt und machte den damals populären Kampf gegen den Klimawandel zum Herzstück ihrer Agenda und zur klimaneutralen Wachstumsstrategie.

Durch die Pandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine haben sich diese Prioritäten weiter akzentuiert. Gleichzeitig ist die EU-Erweiterung in den Vordergrund gerückt, ein Thema, das sie als Kommissionschefin bisher mit Nachdruck verfolgt. Die vielen Krisen sind aber auch ein Hemmschuh dieser Ambitionen: Die Umsetzbarkeit des Green Deal steht in Zeiten von mauen wirtschaftlichen und widerstreitenden geopolitischen Realitäten auf dem Prüfstand. Für künftige Erweiterungen muss erst massive Überzeugungsarbeit geleistet, die EU selbst fit dafür gemacht werden und die europäische Einigkeit ist, mit der Fortdauer des Krieges, alles andere als in Stein gemeißelt.

In den kommenden fünf Jahren möchte sich von der Leyen für eine Stärkung der Wirtschaft, für Unternehmen und Landwirte einsetzen. Beides Gruppen, die es bestens verstehen, ihren Unmut zu artikulieren. Zusätzlicher Gegenwind soll jedenfalls vermieden werden. Auf ihrem Programm steht neben dem obligatem Außengrenzschutz, der Verteidigungsfähigkeit oder der unbedingten Unterstützung der Ukraine auch das Bekenntnis zu einem demokratischen und rechtsstaatlichen Europa. Dazu gehört allerdings auch, europaweit wahlzukämpfen.

Um gewählt zu werden, muss sie nationalistische Stimmen in die Schranken weisen, muss bei großen Vorhaben Linie halten und darf den Klimaschutz nicht opfern. 

Es allen recht zu machen geht sich nicht aus.

 

Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik