Meinung

Was bei der Rede des Kanzlers gefehlt hat

Es war eine tadellose Rede, die Bundeskanzler Sebastian Kurz zum 75-Jahr-Republiksjubiläum gehalten hat. Kein falscher Satz, klare und richtige Worte zur aktuellen Corona-Krise. Zum bisherigen Verlauf und den nächsten Schritten aus dieser Krise, hin zur Normalität, die hoffentlich irgendwann wieder grosso modo die alte sein wird. Man hat erfreut gehört, dass Kurz von Freiheit und Eigenverantwortung gesprochen hat, sogar das von manchen als „neoliberal“ verteufelte Wort „Deregulierung“ ist gefallen.

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Es war indes im Wesentlichen eine reine Corona-Rede mit ein paar historischen Bezügen: der Nennung von Leopold Figl, Bruno Kreisky und Alois Mock als prägender Gestalten der Zweiten Republik und der Erwähnung, dass es in diesen 75 Jahren „immer wieder ein Auf und Ab gegeben hat“, Krisen aller Art, und dass das Land stets „aus all diesen Krisen gestärkt hervorgegangen“ sei. So werde es auch diesmal sein – und damit war Kurz wieder bei der causa prima.

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Aber so wichtig dieses Thema ist, so sehr es das Leben jedes einzelnen zuletzt geprägt hat und auf längere Sicht noch weiter prägen wird – vom Bundeskanzler hätte man sich zu diesem Anlass doch noch mehr erwartet: eine Art republikanischer Selbstvergewisserung, den Versuch einer Standortbestimmung dieses Landes, einer Positionierung für die Gegenwart im Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft. Gewiss, das sind nicht die Themen des Tagesgeschäfts, schon gar nicht des derzeitigen. Aber wann, wenn nicht bei einem solchen Anlass, wäre die Gelegenheit, ein paar Pflöcke einzuschlagen: politisch, ökonomisch, geistig-kulturell – und dies immer auch im größeren europäischen Kontext.

Diese tieferen Dimensionen haben bei der vormittäglichen Feierstunde im Bundeskanzleramt gefehlt. Sie auf einer anderen, nonverbalen Ebene ins Bewusstsein zu heben, blieb den – skurrilerweise trotz großen Abstands mit Masken spielenden – vier philharmonischen Streichern mit einem Satz aus Beethovens op. 135 vorbehalten.

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