Meinung

Verloren zwischen Virologen-Wissen und Impf-Skepsis

Zwei Meldungen erreichten uns gestern, die uns zu denken geben sollten. Sie betreffen dieselbe Pandemie, mit deren Auswirkungen wir alle aktuell zu kämpfen haben. Und doch scheinen sie aus vollkommen unterschiedlichen Welten zu stammen.

Da ist zum einen die aktuellste Umfrage zur Impfbereitschaft der Österreicher, die wir in dieser Ausgabe des Lockdown Daily näher beleuchten wollen. Kurz zusammengefasst: Immer weniger Österreicher wollen sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Laut der Panel-Studie der Universität Wien standen noch im Mai etwa 50 Prozent der Befragten (n = 1500) einer Corona-Impfung positiv gegenüber, ein Drittel äußerte sich skeptisch. Jetzt, im November, also am absoluten Höhepunkt der Pandemie, ist es genau umgekehrt: Rund ein Drittel der Österreicher will sich impfen lassen, die Hälfte der Österreicher ist skeptisch.

Empfehlung der Regierung

Woran das liegt? An der persönlichen Gefährdung? Wohl eher nicht. Nein, Bernhard Kittel von der Universität Wien hatte gestern Abend im Talk 1 des ORF, wo er die Studie vorstellte, eine überraschende Erklärung parat: Ein ganz entscheidender Faktor sei die Zufriedenheit mit der Regierungspolitik. Sprich: Je unzufriedener die Menschen mit der Regierungsarbeit in der Pandemie sind, desto eher werden sie die von der Regierung gesetzten Maßnahmen ablehnen, desto geringer ist also auch die Impfbereitschaft.

Das ist fatal. Wenn es nicht mehr um die Sinnhaftigkeit einer Maßnahme per se geht, sondern nur noch darum, wer diese empfiehlt, wird der gemeinsame Strang, an dem wir hier ziehen sollten, immer dünner. 

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Empfehlungen der FPÖ

Vielleicht erklärt das ja auch die gestrige "Empfehlung" von FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch zu den kommenden Massentests: "Wenn Sie Weihnachten in Ruhe feiern wollen, dann lassen Sie sich nicht testen", lautete Belakowitschs Ansage. Schließlich gebe es bei den Antigen-Tests eine vergleichsweise hohe falsche Positivrate. Das stimmt zwar. Laut Berechnungen der Donau-Uni Krems könnten bei 5 Millionen Tests 100.000 falsch positive Ergebnisse dabei sein. Diese Menschen würden sich dann also umsonst in Quarantäne begeben – ehe sie mittels PCR-Test noch einmal nachgetestet werden.

4,9 Millionen könnten im Umkehrschluss aber ein entspanntes Weihnachten feiern, im sicheren Wissen ihre Liebsten nicht anstecken zu können. FPÖ-Chef Norbert Hofer ruderte noch gestern Abend übrigens zurück. Die FPÖ spreche keine Empfehlung für eine Teilnahme- oder Nicht-Teilnahme aus.  

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Und damit zur eingangs angekündigten zweiten Meldung, die uns gestern erreichte. Sie mag nur eine Fußnote sein – und doch zeigt sie deutlich, wie weit der Diskurs über die Pandemie inzwischen auseinanderläuft. Während man sich in Österreich darum sorgen muss, überhaupt die nötigen 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung durchimpfen zu können, um der Pandemie endlich einen vernünftigeren Riegel als einen Lockdown vorschieben zu können, ließ Christian Drosten gestern mit einer besonders eindringlichen Empfehlung aufhorchen. 

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Empfehlungen eines Virologen

Der deutsche Chefvirologe meinte nämlich, man solle sich schon bei Halskratzen selbst isolieren, jedenfalls nicht in die Arbeit gehen. Erst nach 48 Stunden ohne jegliche Symptome könne man die Selbstisolation wieder beenden. Drosten hat sicher Recht, aber: Ist das nicht sehr weltfremd?

Ich für meinen Teil kann mich nicht daran erinnern, jemals nicht ohne leichtes Halskratzen aufgewacht zu sein. Was sollen etwa Handelsmitarbeiter mit Drostens Empfehlung machen? Ein Schluck Kaffee oder Tee zum Frühstück und gut ist's. Ab in die Arbeit. Für viele geht es gar nicht anders. 

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