Noch nie hat eine Stimme so viel gezählt
Von Daniela Kittner
Heute in zwei Wochen findet die EU-Wahl statt.
Was passiert danach eigentlich mit unserer Stimme?
Da wäre einmal das heimische Wahlergebnis. Die wahrscheinlichste Verschiebung laut Umfragenlage ist, dass die Grünen eines ihrer drei Mandate verlieren, und die ÖVP zu ihren fünf ein sechstes dazu gewinnt. Okay, das wird vermutlich am Lauf der Weltgeschichte nicht wahnsinnig viel ändern.
Viel spannender ist in dem Zusammenhang eine eigentlich abtörnende Nachricht, die uns diese Woche aus dem rumänischen Sibiu erreichte: Die Staats- und Regierungschefs beschlossen dort, gleich nach der Wahl einen Sondergipfel abzuhalten, um über Posten zu streiten. Lernen die eigentlich nie was dazu, fragt man sich im ersten Reflex. Klimaschutz? Außengrenzschutz? Absichern des europäischen Wohlstands? Verteidigen unserer Interessen gegenüber Trump, Putin, China?
Das Schöne an der Meldung aus Sibiu ist: Die EU-Größen von Merkel über Macron bis Sanchez, Rutte und Kurz müssen sich beim Postenstreit nach unserer Stimme richten. Wir Wähler geben ihnen die Möglichkeiten vor. Der Kommissionspräsident und die gesamte Kommission brauchen nämlich eine Mehrheit im EU-Parlament. Und das EU-Parlament wählen wir.
Und weil dort erstmals Schwarz und Rot keine Mehrheit haben werden, können die beiden nicht mehr alles untereinander ausschnapsen. Es steigt der Einfluss des Parlaments und damit unserer Stimme.
Diesmal könnten drei, vielleicht sogar vier Fraktionen nötig sein, um eine regierungsfähige Mehrheit zu zimmern (Schwarz, Rot, Liberal, Grün).
Zwei Personen, zwei Programme
Und nun – fürs taktische Wählen – zu den inhaltlichen Möglichkeiten. Macron tritt zwar separat an, pokert aber für die Liberalen, die generell im Aufwind sind. Macrons Wunsch-Kommissionschefin, Margarethe Vestager, steht für ein Programm: Als Wettbewerbskommissarin hat sie sich mit den steuerhinterziehenden Internetgiganten angelegt.
Deutschland und Österreich forcieren Manfred Weber. Der Christdemokrat aus Bayern steht für solide Wirtschaft, Bürokratieabbau, Außengrenzschutz und vor allem auch für eine strikte Abgrenzung der Christdemokraten von den autoritären, anti-europäischen Rechten. Kurz trägt das mit.
Wie stark die Sozialdemokraten der EU-Politik ihren Stempel aufdrücken können, hängt von deren Abschneiden ab. Da die britische Labour nun mit wählt, könnten die Verluste der SPE gebremst sein.
Ein Horrorszenario gibt es auch: Sollten in drei der vier größten EU-Länder – Italien (sicher), Frankreich (möglich), Großbritannien (wahrscheinlich) – die Nationalisten stärkste Partei werden, würde das Europas Bild in der Welt massiv schaden. Voten für antieuropäische Chaoten führt nicht zu Stärke, wie die Rechten suggerieren, sondern schwächt Europa in der Welt.daniela.kittner