Grammelknödel verspeisen mit dem eleganten Mister Wien
Von Agnes Preusser
In der deutschen Zeitung Die Welt ist ein Streit über Wien ausgebrochen. Erst war eine Autorin trotz ihres „rotzfrechen Berliner Vibes in Love mit dem eleganten Mr. Wien“, erklärte im Laufe des Texts aber, dass sie beim genaueren Hinsehen die Stadt zu hassen lernte. Unter anderem, weil die Menschen da „einem ungefiltert und ungefragt die Meinung direkt ins Gesicht knallen“.
Man ist versucht zu sagen, dass man ein bisschen selber schuld ist, wenn man sich in der nachweislich unfreundlichsten Stadt der Welt als rotzfreche „Großstadtgöre“ präsentiert. Das kann man ja nur als Provokation werten.
Kurz danach ritt eine andere Redakteurin aus, um Wien zu verteidigen, unter anderem mit drei sehr wahren Sätzen: „In Wien ist alles wurscht. Du bist allen wurscht. Komm nach Wien, dann bist du allen egal und dadurch endlich frei.“ Das hat schon fast etwas Poetisches.
Letztens war ich mit einer Freundin trotzdem versucht, zwei US-Touristinnen das Gefühl zu geben, dass sie uns nicht wurscht sind. Sie standen in einem Lokal und scheiterten daran, die Speisekarte zu übersetzen. Freundlich wollten wir helfen und mussten feststellen, dass manch heimisches Gericht gar nicht so leicht zu erklären ist. Schinkenfleckerl und Topfentorte kann man ja noch ganz appetitlich umschreiben, aber nach der Erklärung von Grammelknödel (ausgelassenes und bröckeliges Schweinefett im Erdäpfelteig) verließen die Amerikanerinnen fluchtartig und mit leicht grünlichem Gesicht das Lokal.
Das wirft ein neues Licht auf den „Expat Insider 2023“-Report, der im Juli veröffentlicht wurde. Damals gaben 45 Prozent an, dass es schwer ist, hier zu leben, ohne Österreichisch zu verstehen. In anderen Ländern geben nur 32 Prozent an, die lokale Sprache beherrschen zu müssen. Vielleicht liegt das einfach daran, dass man Spaghetti leichter übersetzen kann als Grammelknödel. Und weil auch wirklich den meisten andere wurscht sind.
Weitere Kolumnen:
➤ Ein betrügerischer Kleinstadt-Sheriff und vermisste Höflichkeit
➤ Digital Detox am Strand und Diskussionen über Wildschweine