Meinung/Kommentare/Wirtschaft

Wie man von 560 Euro leben kann

Das Grundeinkommen beflügelt die Phantasie

Hermann Sileitsch-Parzer
über das finnische Experiment

Der finnische Feldversuch für ein angeblich bedingungsloses Grundeinkommen sorgt europaweit für viel Aufsehen und noch mehr Schlagzeilen. Und für ein großes Rätsel. Haben Sie sich das auch gefragt: Wie um alles in der Welt sollen die betroffenen Finnen mit 560 Euro im Monat auskommen?

(Zur KURIER-Story geht es hier)

Die Antwort ist recht einfach: In den meisten Storys wurde die wesentliche Info unterschlagen, dass dieser Betrag natürlich nicht der einzige Sozialtransfer ist, den die Arbeitslosen erhalten können, im Gegenteil. Die Sozialversicherungsanstalt Kela, die das Experiment umfassend (und dankenswerterweise auch auf Englisch, mein Finnisch ist etwas eingerostet) dokumentiert, betont ausdrücklich, dass niemand finanzielle Einbußen befürchten muss.

Ansprüche bleiben aufrecht

Bestehende Ansprüche auf Kinderbeihilfen, Sozialhilfen oder Mietzuschüsse bleiben also aufrecht. Das Grundeinkommen wird in voller Höhe ausgezahlt, es fließt aber als Einkommen in die Bedarfsermittlung für diese Unterstützungen ein.

So klingt es schon plausibler, wie es sich mit 560 Euro im Monat leben lässt. Nur: Was ist dann noch bedingungslos an diesem finnischen Grundeinkommen? Und was ist daran revolutionär? Die Antwort lautet: gar nix. Zumal es ja nur um ein Pilotprojekt für 2000 Finnen geht - und selbst das vorerst beschränkt auf zwei Jahre.

Ziel: Falsche Anreize eliminieren

Warum tun die Finnen das dann überhaupt? In Wahrheit geht es ihnen darum zu überprüfen, was mehr Anreize gibt: Wenn ein Arbeitsloser durch einen bürokratischen Prozess und institutionelle Kontrollen zur Jobsuche angehalten wird (früher hätte man gesagt, er "für die Arbeitslose stempeln gehen" muss). Oder wenn er völlig eigenbestimmt sich eine Arbeit und ein Zusatzeinkommen suchen kann, weil er nicht befürchten muss, das Grundeinkommen zu verlieren.

Oder, mit den Worten der Kela: "Ein Ziel ist es, falsche Anreize zu entfernen. Ein falscher Anreiz wäre eine Situation, wo Arbeiten keine lohnende Option für jemanden ist, der Sozialtransfers erhält, weil jedes Zusatzverdienst die Ansprüche und somit sein Gesamteinkommen verringern würde." Immerhin, ein interessantes Studienziel.

Trifft einen Nerv

Bezeichnend ist es dennoch, wie viel Aufmerksamkeit das finnische Experiment international erfährt. Die Idee des Grundeinkommen beflügelt offenkundig die Phantasie. Und tatsächlich ist das Konzept mehr als eine Überlegung wert. Allerdings sollte man in der Diskussion genau hinterfragen, welche Interessen damit verbunden sind.

Die Beobachtung lehrt: Es gibt drei Gründe, warum Proponenten sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen. Diese kommen, das macht das Ganze so spannend, aus völlig verschiedenen ideologischen Richtungen.

- Philantropisch Das soziale Argument lautet: Jeder Mensch soll, unabhängig von seiner Befähigung zu Erwerbsarbeit, ein Anrecht auf ein menschenwürdiges Auskommen haben. Und somit auch ein Grundeinkommen beziehen dürfen. Die Frage, ob dieses lediglich die Existenz sichern, die Teilhabe am sozialen Leben oder womöglich sogar ein komfortables Leben ermöglichen soll, ist damit noch nicht beantwortet. Sie führt aber über zur zweiten Gruppe.

- Wirtschaftsliberal Viele Ökonomen, denen der Ausbau des Wohlfahrtsstaates alles andere als ein Anliegen ist, können dem Grundeinkommen erstaunlich viel abgewinnen. Aus der simplen Überlegung, dass dieses (entsprechend knapp bemessen) einen großen Anreiz darstellt, sich etwas dazuzuverdienen. Und weil es zugleich den notwendigen bürokratischen Apparat auf ein Minimum reduziert - Schlagwort schlanker Staat.

- Technophil Erstaunlicherweise gibt es in den US-Hightech-Schmieden im Silicon Valley viele Befürworter - wie etwa den Tesla-Gründer Elon Musk. Dass sich "Digital Natives" für ein Grundeinkommen aussprechen, hängt mit ihrer Überzeugung zusammen, dass Automatisierung, Digitalisierung und Roboter in absehbarer Zukunft den Menschen die Arbeit abnehmen werden. Ein Nebenaspekt: Wer sich nicht ums Finanzielle sorgen muss, wäre im Kopf frei, sich innovativen Ideen zu widmen. Und sich dem (aus Valley-Sicht) wirklich Wesentlichen zu widmen: Start-ups zu gründen.

Fazit: Das Konzept des Grundeinkommens ist nicht nur spannend, es könnte auch wichtige Impulse liefern, um unsere Sozialsysteme weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu halten. Aber bitte führen wir diese Debatte a) auf Basis der Fakten und b) ohne die ideologischen Beweggründe zu verschleiern. Das finnische Experiment könnte dazu ein Anstoß sein.