Meinung

Das Beste, das die Briten kriegen konnten: Gegenteil von gut

Jetzt liegen sie also auf dem Tisch - jene 585 Seiten, die den ersten Austritt eines EU-Landes aus der Union besiegeln. In Brüssel herrscht große Erleichterung darüber, dass zumindest einmal die Regierung in London mit diesem Vertragstext leben kann. Mehr oder weniger gut - aber immerhin.

Und jetzt beginnt der wirkliche harte Teil des britischen Weges raus aus der EU: Wort für Wort ist im Scheidungsvertrag die Begegnung mit der Realität nachzulesen. Die wird fordernd, anstrengend, ernüchternd und vor allem das Gegenteil von dem, was die begeisterten britischen EU-Austreter beschworen hatten: "Die Kontrolle zurückerlangen" von einer EU, die man als lästig, übergriffig, bevormundend und teuer empfunden hatte.

Die Wahrheit aber ist: Genau das wird es nicht sein. Um das allergrößte Chaos zu vermeiden, muss Premierministerin May das Vereinigte Königreich mindestens bis Ende 2020 weiter an die EU-Regeln binden. Das bedeutet: Alle Regeln Brüssels sind zu befolgen, mitzureden aber hat London gar nichts mehr. Kein Wunder, dass die eingefleischten Brexiteers, also die Anhänger eines harten Brexits, toben und mit diesem Vertrag nichts zu tun haben wollen.

Und was also werden sie tun? Beim Parlamentsvotum im Dezember dagegen stimmen - mit der unvermeidlichen Option, Großbritannien dann in die schlechteste aller Richtungen zu führen. Dann würde Großbritannien am 30. März zwar EU-frei, aber wirtschaftlich ärmer, politisch isolierter und mit jeder Menge aufflammender innenpolitischer Krisen dastehen. Und das soll der große Befreiungsschlag sein, den sich die Briten erhofften, die einst für den Brexit gestimmt hatten?

Theresa May hat recht, wenn sie sagt: Der jetzt vorliegende Scheidungsvertrag sei das "Beste, was wir kriegen konnten".  Es ist freilich nur das Beste aus einer denkbar schlechten Wahl - zumindest aus der Sicht der anderen 27 EU-Staaten.

Wie man den Abgang der Briten hätte verhindern können, fragt sich in Brüssel heute niemand mehr. Es ist geschehen, die Union muss damit leben, von einem ihrer wichtigsten Mitglieder verlassen zu werden. Gut ist an diesem Trennungsprozess nur, dass sich die anderen 27 EU-Staaten nicht auseinander dividieren ließen und in einem gewissen Sinne sogar ein wenig zusammenrückten. Und gut, wenn auch schmerzhaft, ist es auch zu sehen, dass am Ende dieser Trennung keiner der beiden Partner besser da steht als vorher.

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