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EU-Wahl: Wer folgt Barroso?

Die große Frage ist, wen die Konservativen nominieren.

Philipp Hacker-Walton
über das Brüsseler Posten-Karussell

Willkommen! Ab heute soll es an dieser Stelle jeden Freitag " Brüssel von Innen" geben - mit aktuellen europapolitischen Themen und Blicken hinter die Kulissen in Brüssel (und Straßburg und Luxemburg). Ihr Feedback ist ausdrücklich erwünscht - als Kommentar unter den Artikeln, per Email oder auf Twitter (@phackerwalton).

Europa-Wahlen waren in den Vergangenheit ein politisches Stiefkind: Die Parteien nominierten vergleichsweise unbekannte Kandidaten, die Wähler antworteten mit niedriger Wahlbeteiligung. Nicht nur in Österreich ging es oft weniger um Europa-Themen selbst als um eine Zeugnisvergabe für die nationale Regierung oder ein aktuelles Nicht-EU-Thema. Oder, der spannendere Fall, es gibt zumindest eine interessante Personalie: Vom EU-Wahlkampf 2009 ist Ihnen wahrscheinlich kein großes Thema hängen geblieben - aber ziemlich sicher, dass die ÖVP Ernst Strasser als Spitzenkandidat nominierte und Othmar Karas daraufhin 112.000 Vorzugsstimmen erhielt.

Vertragsänderung

Die EU-Wahl 2014 verspricht spannender zu werden als ihre Vorgänger. Erstens wird immer mehr in Brüssel und immer weniger in den nationalen Parlamenten entschieden. Zweitens haben die Krisenjahre dafür gesorgt, dass Europa-Politik immer mehr als Innenpolitik wahrgenommen wird und umgekehrt (Stichworte: Bankenpakete, Eurorettung, etc.)

Drittens, und darum soll es in diesem Post gehen, hat die Europa-Wahl erstmals (wegen einer Änderung, die mit dem Lissabon-Vertrag beschlossen wurde) Einfluss darauf, wer der nächste Kommissionschef wird.

Das letzte Wort hat das Parlament

Bislang haben sich die Staats- und Regierungschefs im Rat auf einen Kommissionspräsidenten geeinigt - das Parlament hatte da nichts mitzureden. Das hat sich geändert: Der nächste Kommissionschef wird vom Rat vorgeschlagen - unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses, wie es offiziell heißt. Und unter noch größerer Berücksichtigung, wer auch vom Parlament gewählt wird - denn dort wird über den Neuen abgestimmt.

Das hat zunächst vor allem einen Effekt: Die europäischen Parteien werden einen gemeinsamen, europaweiten Spitzenkandidaten nominieren, der gleichzeit ihr Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten ist.

Die Sozialdemokraten haben das unlängst getan und - wie erwartet - Parlamentspräsident Martin Schulz nominiert.

Die Grünen haben einen besonders spannenden, weil basisdemokratischen Ansatz gewählt (was wohl auch leichter ist, wenn man keine realistischen Chancen hat, den Kommissionschef tatsächlich zu stellen): Sie veranstalten europaweite Vorwahlen, bei denen die Grün-Anhänger dann aus mehreren Kandidatinnen eine(n) wählen.

Die große Frage ist aber, wen die Konservativen ins Rennen schicken werden.

Wie stark soll die Kommission sein?

Eigentlich würde Jose Manuel Barroso gerne noch eine dritte Amtszeit anhängen. Doch seine Chancen stehen nicht gut: Er ist ein blasser Kommissionschef - was insofern passt, als er schon bei seiner Bestellung ein Kompromisskandidat war. Man könnte auch sagen: Die Staats- und Regierungschefs haben sich 2004 absichtlich keinen Stärkeren geholt, damit er ihnen nicht in die Quere kommen kann.

Spannend wird, ob sich dieser Ansatz mittlerweile verändert hat: Will der Rat wieder ein schwaches Gegenüber - oder doch eine Aufwertung der Kommission (wie das derzeit zB Angela Merkel forciert, die die Brüsseler Behörde bei manchen Themen in die Länder "hineinregieren" lassen will)?

Man kann es in dieser Frage halten wie ein erfahrener Korrespondenten-Kollege, der in Diskussionen dieser Art immer einwirft: "Es wird wieder jemand sein, mit dem keiner rechnet - das war immer so." - Ein Überraschungskandidat würde eher auf einen schwächeren Kommissionschef schließen lassen.

Will man sich darauf nicht verlassen, nimmt man die Namen, die schon gefallen sind - und schließt daraus, dass es eher ein stärkerer Kommissionschef werden könnte.

Reding, Barnier - oder doch Juncker?

Zwei mögliche Kandidaten sitzen jetzt schon in der Kommission: Justizkommissarin Viviane Reding - für sie spricht die Erfahrung und dass endlich eine Frau die Kommission führen sollte - und Binnenmarktkommissar Michel Barnier, der von 1999 bis 2004 Kommissar war und es seit 2009 wieder ist. Für ihn spricht ebenfalls die Erfahrung - und dass Frankreich damit wieder auf höchstem Level vertreten wäre.

Unter amtierenden Ministern und Regierungschefs gibt es auch Kandidaten - den polnischen Premier Donald Tusk zB -, nur zögern diese, Interesse zu bekunden, um nicht als "lahme Ente" weiterregieren zu müssen, bis sie nach Brüssel wechseln.

Juncker-Faktor vs. Schulz-Faktor

Und dann taucht routinemäßig Jean-Claude Juncker in den Spekulationen auf. 2004 hätte er den Job schon haben können, lehnte aber ab. Die Parlamentswahl in Luxemburg vergangenen Sonntag hat hier jetzt wieder Bewegung hinein gebracht: Nachdem seine Beliebtheitswerte in Luxemburg sinken und seit Montag sogar Gespräche über eine Koalition ohne seine Christlich-Soziale Volkspartei geführt werden, könnte er jetzt bald bereit sein für den Abflug nach Brüssel.

Für Juncker spricht, dass er "Mister Euro" ist: 18 Jahre Premierminister, längstdienender Regierungschef bei den Gipfeln, acht Jahre Vorsitzender der Eurogruppe ... Genau das spricht übrigens auch gegen Juncker: Er ist ewig dabei, politisch auch etwas "verbraucht". Und: Würde man ihn als abgewählten Premier an die Kommissionsspitze setzen? Dem folgend, würde Juncker noch eher als neuer Ratspräsident in Frage kommen - eher ein Job für "has-beens".

Zur Vollständigkeit noch das Plus/Minus zu Schulz: Für ihn - zur Vollständigkeit - spricht, dass er ein charismatischer Typ ist, der dem Parlament als dessen Präsident Stimme und Gesicht gegeben hat. Das könnte die Kommission auch gut gebrauchen. Gegen ihn spricht, dass er - im Gegensatz zu den anderen Genannten - keine Erfahrung in der Kommission oder einer Regierung hat.

Das Personalpaket

Am Ende wird es - wie gehabt - ein ganzes Personalpaket sein, das Länder- und Parteistrategisch ausgeklügelt werden muss: Neben Kommissionschef Barroso werden auch Außenbeauftragte Ashton und Ratspräsident Van Rompuy nachbesetzt. Und auch der Parlamentspräsident wird neu gewählt, wobei hier der Stand der Kandidatensuche genau andersrum ist: Die Europäische Volkspartei hat mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Joseph Daul einen logischen Kandidaten; bei den Sozialdemokraten, wo Schulz wegfallen und Fraktionsführer Hannes Swoboda nicht noch einmal antreten dürfte, ist alles offen.

Wer was wird? Keine Ahnung. Aber spannend wird's sicher.

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