Wie eine Seifenoper den Ausbruch eines neuen Balkan-Krieges verhindern sollte
Von Mirad Odobašić
Kassandra war so erfolgreich, dass sie es ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte. Die venezolanische Telenovela, die sich um eine in einem Roma-Wanderzirkus aufwachsende junge Frau dreht, lief in 128 Ländern und ist somit die meistexportierte spanischsprachige Produktion aller Zeiten.
Die Liste der Erfolge von Kassandra ist lang. So war sie etwa die erste Telenovela, die in Japan ausgestrahlt wurde. Wo Kassandra allerdings einen ganz anderen gesellschaftlichen Stellenwert einnehmen sollte, ist ein von Südamerika noch weiter entfernter Fleck auf dieser Welt - der Balkan. In Serbien war ihre Beliebtheit derart groß, dass sie in einem Schulbuch für das Fach Soziologie Erwähnung fand.
Eine andere Beliebtheitsstufe erreichte sie im serbischen Ort Kučevo, wo man nach einer ungerechten Inhaftierung der Hauptfigur (in einer Folge wohlgemerkt) eine Bürgerinitiative bildete. "Wir wissen, dass Kassandra unschuldig ist! Stoppt ihr Leiden!", ließen die erbosten Fans der venezolanischen Regierung und dem damaligen Präsidenten Serbiens, Slobodan Milošević, ein Schreiben zukommen.
Der brüchige Frieden und die nötige Ablenkung
Was zunächst ein Geheimnis war, ist der Einfluss dieser Anfang der 1990er produzierten Telenovela auf die politischen Verhältnisse in einem Balkanland. In Bosnien und Herzegowina wurde Kassandra erstmals 1997 ausgestrahlt, kurz nach dem Ende des blutigen, dreieinhalb Jahre andauernden Krieges. "Die Serie hat die Menschen in Republika Srpska förmlich an den Bildschirm gefesselt", sagt der General Manager von Coral Pictures, Antonio Paez, im Gespräch mit BBC Mundo. Aus seiner Produktionsfirma stammt nämlich die Erfolgsserie, die in der vom Leid geprägten Region für Ablenkung sorgte.
In Republika Srpska, dem von bosnischen Serben bewohnten Teil des geteilten Landes, schwelte 1997 ein Konflikt zwischen der Strömung des ehemaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadžić und seiner Nachfolgerin Biljana Plavšić. Der Konflikt zwischen Karadžić, dem damals Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden und Plavšić, die die Unterstützung der USA genoss, drohte die neu geschaffene und immer noch fragile Stabilität zu untergraben, erinnert sich BBC Mundo.
Mitten in einer Staffel war das Signal weg
Karadžić nutzte den Staatssender, um die Serben gegen die im Land befindlichen und aus seiner Sicht feindlichen Friedenstruppen der NATO und den USA zu mobilisieren - bis eines Tages im August 1997 Biljana Plavšić die Kontrolle über den Sender übernahm und das Signal unterbrach. Als das Signal wieder ausgestrahlt wurde, befand es sich in den Händen der Regierung von Plavšić, die das Programm völlig umkrempelte. Dabei übersah das neue Sendermanagement ein Problem: Kassandra fehlte im neuen Programm, wurde nicht mehr ausgestrahlt - und das mitten in einer Staffel.
Dies beunruhigte nicht nur die zahlreichen Fans, sondern auch die Vereinigten Staaten von Amerika.
Einmischung des US-amerikanischen Außenministeriums
Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton befürchtete, dass die Tatsache, dass die bosnischen Serben ihre Lieblingsserie nicht weiter sehen konnten, zu sozialen Unruhen und Unmut führen könnte. Was man auf keinen Fall riskieren wollte, ist, dass die Regierung von der gemäßigten Biljana Plavšić geschwächt würde. Aus diesem Grund kontaktierte das US-Außenministerium Antonio Paez.
"Meine Assistentin sagte mir, dass ein Beamter des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika am Hörer sei", erinnert sich Paez im Gespräch mit BBC Mundo. "Der Mann sagte mir: 'Schau, ich kann Ihnen im Moment nicht einmal meinen Namen sagen.' Es gibt da einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, der eine von Ihnen produzierte Serie zeigt, die in dieser Gegend sehr beliebt ist", schildert Paez das etwas unheimliche Gespräch. Der State-Departement-Beamte erklärte ihm, sein Boss wolle die Serie unbedingt auf Sendung halten. "Er sagte, dass die USA Angst davor hätten, der Krieg würde erneut ausbrechen, wenn unsere Serie nicht wieder ausgestrahlt wird. Also brauche er meine Hilfe, um Kassandra wieder auf Sendung zu bringen."
"Kassandra hat zum Frieden in der Region beigetragen"
Paez gelang es nach mehreren Versuchen, den Fernsehsender in der Republika Srpska zu erreichen und an den Geschäftsführer heranzukommen. Dieser gestand ihm, dass sein Sender die Übertragungsrechte an Kassandra niemals gekauft hatte, weil sie sich diese schlicht nicht leisten konnten. Der Sender strahlte die ganze Zeit eine Raubkopie der zuvor im benachbarten Serbien ausgestrahlten Episoden aus.
Paez versuchte daraufhin, das US-Außenministerium dazu zu bewegen, die Kosten für die Übertragungsrechte zu übernehmen - hätten sie doch solch ein großes Interesse daran. Er bekam jedoch eine negative Antwort. Schlussendlich entschied Paez, alle Staffeln der Serie dem bosnischen Sender zu spenden. "Ich habe noch nie gehört, dass eine Fernsehsendung so beliebt war, dass sie tatsächlich zum Frieden beitrug. Kassandra hat dies aber getan. Tatsächlich hat sie zum Frieden in der Region beigetragen", so Paez gegenüber BBC Mundo.